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Der Untergrund im Obergrund

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NEUES HÖRSPIEL. Texte Partituren. Herausgegeben von Klaus Schöning. Vorwort, 15 Hörspiele, Anhang, eine Schallplatte (Jandll Mayröcker). Verlag Suhrkamp, Frankfurt. 464 Seiten, glanzka-schiert mit Schuber. DM 30.—.

Nach Opas Kino wird nun auch Opas Hörspiel für tot erklärt. Auch wenn es nur Papas Hörspiel war. Neues Hörspiel, zur Gattung erhoben, bedeutet Absage an die Nachkriegsideologien, die unbarmherzig in einen Topf geworfen werden, wo sie weiterstreiten dürfen. ES bedeutet Absage an wohldosierten Mief und elfenbeinerne Türme, oft zwei Seiten derselben Irrealität Handke mit Wittgenstein in Zusammenhang zu bringen, ist nicht mehr originell. Wieder einmal schlägt sich neue Erfahrung der Wirklichkeit, amalgamiert mit neuer Technik, etwas verspätet in neuer Kunst nieder.

Neues Hörspiel scheut nicht den Sprung von der Quantität akustischer Mehrbelastung des Hörers zur Qualität Lärm. Es bedeutet Einbruch, Arrangement, Anschaulich-machung neuer, mit den konventionellen Mitteln (Fabel, Personen, Schilderung) nicht mehr übermittelbarer Wirklichkeit. Starre Grenzen zu Nachbarbereichen fallen. Neues Hörspiel ist oft gerade auf dem Höhepunkt seiner einstweiligen Möglichkeiten gestaltetes Durcheinander, manchmal vorprogrammiert (wie bei Kriwet), manchmal unter Ernennung des Unberechenbaren zum Mitautor (Kagel). Sprache hört auf nur Ubermittler eines streng getrennten Ubermittelten zu sein, Sprachkritik wird Gesellschaftskritik, Gesellschaftskritik Sprachkritik. Sprache ist gesellschaftlicher Mechanismus, dessen Funktion wird am laufenden Werkel gezeigt. Neues Hörspiel bewahrt nicht Sprache, sondern entlarvt Sprache als Trägerin und Bewah-rerin des Bestehenden. Es ist kein Zufall, daß die konservativen Geister der Sprache vertrauen, in der Sprache schwimmen wie der berühmte Mao-Fisch im Wasser. Sprache ist weiblich. Sie sabotiert tiefgreifende Revolutionen. Im Neuen Hörspiel wird das bemerkbar. Manchmal gleicht das neue Hörspiel einem Rodeo. Heldenhafte Sekunden. Dann macht die Sprache einen Satz und tollt allein weiter. Neues Hörspiel ist eine subversive Kunst par excellence. Unterläuft Widerstände, transportiert Wahrheiten brechtisch-akroba<tiisch, versucht es. Hörspiele, wie „Hörspiel“ von Handice, „Fünf Mann Menschen“ von Jandl und Mayröcker, „Häuser“ von Becker, könnten auch so geschrieben worden sein, uim eine Zen-

ßurstelle zu düpieren. Verwandtes entstand in den verschiedenen Liberalisierungsperioden in Polen, in der CSSR, als die Zensoren toleranter wurden, aber noch immer da waaren. Tatsächlich wurden diese Hörspiele auch gegen eine Zensur geschrieben — nicht gegen die äußere Zensur, sondern gegen den inneren Zensor im Hörer, die am schwersten zu unterlaufende Zensurstelle, die es gibt. Neues Hörspiel isit auch ein neuer Versuch, Argumente unter Umgehung der emotionellen Abwehr in das Zentrum des rationalen Auffassungsvermögens zu befördern. Im Obergrund erzieherische Untergrund-arbeiit zu leisten.

Neues Hörspiel favorisiert hauten Schnitt, Collage, weist dem Geräusch völlig neue Funktionen zu, entwickelt eine neue, unmittelbare, mit Elementen des akustischen Alltags operierende Ästhetik. Es ist mit wendigen Ausnahmen Stereospiel, die Stereophonie des neuen Hörspiels zerstört die alte deutsche Hörspiel-Innerlichkeit oder versucht es wenigstens, es „liefert die innere Bühne nicht mehr“ (Hostnig), „schafft Distanz zwischen Hörer und Apparat“ (Schöning). Seine Stereophonie ist Stilmitottel, nicht Mittel zur Erzeugung von Illusion. Es sagt der Fabel ade, erzählt keine zusammenhängenden Geschichten mehr, zerlegt Figuren, statt an intakten Figuren abzuhandeln. Es fördert neue Formen der Anteilnahme (oder versucht es). Die Sichtbarmachung der Bühnenapparate hat ihr akustisches Gegenstück in neuen, vielfach schon wieder aD-geschliffenen Techniken der Desil-lusionierung.

Mitunter tarnt sich Opas Hörspiel als Neues Hörspiel. Bei Döhl („Herr Fischer und seine Frau“) läßt „die Normaluhr von Babylon“ als hehres Monument geschnörkelter Bedeutungslosigkeit ihre Zeiger rotieren, aber das ist passe und entlarvt das vor zehn Jahren geschriebene Ding, wie falsche Rocklängen einen gealterten Film. Natürlich hat auch das Neue Hörspiel sein modisches Drumunddran. Auschwitz und Eichmann wurden zu Versatzstücken der hochgestochenen Dutzendware, damit wird Pseudoengagiertes gern bedeutungsschwer garniert. Das Neue Hörspiel hat auch bereits seine Apologeten, seine Artisten der ästhetisierenden Interpretation, seine Regisseure, die noch das Telephonbuch zu inszenieren vermöchten. Vieles, was in kommentierenden Anmerkungen als sprachkritisch ausgegeben wird, entpuppt sich als neue Masche der Unverbindlich-keit.

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