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Geheimliteratur für den Funk?

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Die jüngste Literaturgattung wird auch weithin am stiefmütterlichsten behandelt. Die Zahl der Menschen, die einem vom österreichischen Rundfunk ausgestrahlten Hörspiel an ihren Radioapparaten folgen, ist meist höher, und oft auch sehr viel höher, als die Zahl der Theaterbesucher, die ein von einem der größeren Wiener Theater gespieltes Stück gesehen haben. Aber Theaterstücke werden auf Spielplanplakaten und in den Zeitungen angekündigt, von den Kritikern gelobt oder zerpflückt, von der kulturellen Snobiety diskutiert. Ein Hörspiel hingegen wird von den Zeitungen im kleinsten Kleindruck angekündigt — wobei nur der Titel, nicht aber der (Name des Autors genannt wird —, und so. gut wie niemals kritisiert.

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Die jüngste Literaturgattung wird auch weithin am stiefmütterlichsten behandelt. Die Zahl der Menschen, die einem vom österreichischen Rundfunk ausgestrahlten Hörspiel an ihren Radioapparaten folgen, ist meist höher, und oft auch sehr viel höher, als die Zahl der Theaterbesucher, die ein von einem der größeren Wiener Theater gespieltes Stück gesehen haben. Aber Theaterstücke werden auf Spielplanplakaten und in den Zeitungen angekündigt, von den Kritikern gelobt oder zerpflückt, von der kulturellen Snobiety diskutiert. Ein Hörspiel hingegen wird von den Zeitungen im kleinsten Kleindruck angekündigt — wobei nur der Titel, nicht aber der (Name des Autors genannt wird —, und so. gut wie niemals kritisiert.

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Das ist um so erstaunlicher und auch um so trauriger, als dieser Mangel an Öffentlichkeit nicht nur die Breitenwirkung des Hörspiels beeinträchtigt, sondern auch die Entwicklung dieser Literaturgattung negativ beeinflußt. Dabei ist das Hörspiel unter allen jenen Kunstgattungen, die einer Realisation, einer „Aufführung“ bedürfen, eine der interessantesten und bei weitem die freieste hinsichtlich des Orts-

und Szenenwechsels oder des totalen Verzichts auf jede Festlegung im äußeren Raum, und ein Dichter wie Strindberg hätte sein „Traumspiel“ sicher für den Hörfunk geschrieben, hätte es diesen zu seiner Zeit schon gegeben. Das Hörspiel hat in dem knappen halben Jahrhundert seines Bestehens eine außerordentlich faszinierende Entwicklung durchgemacht, und es wurde vor allem in Deutschland (und von den Germanisten aller

Länder), aber auch in Großbritannien, von der Literaturwissenschaft intensiv zur Kenntnis genommen.

Mehr denn je ist das Hörspiel heute eine Kunst, die im Geheimen gedeiht — soweit sie noch gedeiht. Hauptprobleme jener, die für diese Kunst (oder von ihr) leben, sind ein Mangel an Öffentlichkeit, ein Mangel an Kommunikation und ein Mangel an Verfügbarkeit, wobei eines das andere bedingt. Ein Mangel an Öffentlichkeit besteht auch dann, wenn 50.000 oder 100.000 Menschen ein im Regionalprogramm gesendetes oder wenn etwas weniger Menschen ein ö-l-Hörspiel hören, dies aber unter Ausschluß der Öffentlichkeit geschieht, sprich, wenn jeder für sich das Gehörte loben oder in Grund und Boden verdammen kann, aber keinerlei öffentliche Resonanz stattfindet. Theaterstücke und bildende Kunst werden kritisiert, Bücher rezensiert, Hörspiele ignoriert. Dies, obwohl das Hörspiel, viel mehr als

das Fernsehspiel, eine durchaus eigenständige Kunst ist.

Dieser Mangel an Öffentlichkeit bedingt auch einen zunehmenden Mangel an Kommunikation, eine zunehmende Isolierung der Autoren. Es gibt eine reiche Hörspielliteratur,

mit der sich heute — in deutscher Sprache — leicht ein Regal füllen läßt, aber im Vergleich zu dem, was geschrieben und gesendet wird, wird immer weniger gedruckt.

Wer sich für das Hörspiel interessiert, stößt daher schnell auf die Schranken einer außerordentlich begrenzten Verfügbarkeit des Vorhandenen. Die Bänder dürfen von den Funkhäusern nicht aus der Hand gegeben werden. Die einst in der Bundesrepublik alljährlich publizierten Hörspielbände erscheinen längst nicht mehr. Die Zahl der sonstigen Einzel- und Sammelpublikationen geht zurück. Dies bedeutet ein starkes Hemmnis für den Zuwachs „klassischer“ Stücke, für die erstmals von Brecht und seither vor allem von Heinrich Schwitzke (dem langjährigen und für das Hörspiel außerordentlich verdienstvollen Hörspielchef des Norddeutschen Rundfunks) immer wieder geforderte Bildung eines Hörspiel-Repertoires. Hörspiele werden geschrieben, produziert, einmal oder einige Male gesendet und

dann für alle Zeiten archiviert — unabhängig von ihrer Aussage, von der Qualität des Werkes oder der Realisation, auch unabhängig von der Fortdauer ihrer Aktualität. Ausnahmen sind Glücksfälle. Die deutschen Funkhäuser hektographieren wenigstens die Manuskripte und schicken Interessenten auf Anforderung Exemplare zu. Hierzulande geschieht nicht einmal das. Vor der Rundfunkreform sollen sogar zahlreiche Hörspielbänder nach einigen Jahren gelöscht worden sein. Und nicht nur solche, um die nicht schade war.

Was die anderen Autoren schreiben, was außerhalb der Reichweite des eigenen Radioapparates gesendet wird, erfahren die Hörspielautoren selbst auch nur dann, wenn sie zusammenkommen — seit vier Jahrer einmal im Jahr in Unterrabnitz im Burgenland, wo sich der bislang ausschließlich Hörspiele schreibende Jan Rys niedergelassen hat. Heuer verstärkte sich der Eindruck, daß das einige Jahre hochgespielte, für die breiten Hörermassen unverständliche, exklusive „Neue Hörspiel“ abklingt und auch die Ordginaltonwelle von neuen Tendenzen abgelöst wird. Man trägt heute auf der einen Seite soziales, aber nicht mehr unbedingt revolutionäres Engagement, auf der anderen Seite eine neue Innerlich-

Wenn im ORF-Programm „Die gar köstlichen Folgen einer mißglückten Belagerung“ angekündigt werden, sollte man sich unbedingt Zeit nehmen, auch wenn die Ankündigung den Autor Franz Hiesel unterschlägt. Der „Bau eines Traumes“ (Westdeutscher Rundfunk) des israelischen Autors Michal Tonecki wurde mit dem — ausschließlich auf Grund einhelligen Applauses sämtlicher Anwesenden verliehenen ■— Unterrabnitzer „Schiabbes“ ausge-

zeichnet. Assoziationen irunerer Nachmärze provozierte das Hörspiel „Von Prinzen und Jungfrauen, Handwerksgesellen und allerhand anderen Leuten“ von Erwin Neuner (Norddeutscher Rundfunk).

Vergleiche auch das nebenstehende Gespräch mit dem Initiator und Organisator der Unterrabnitzer Hörspieltage Jan Rys, der mit seinem Hörspiel „Grenzgänger“ berühmt wurde und eine neue Arbeit, „Gar-gantua und Pantagruel“ nach Rabelais, vorgelegt hat.

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