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Wird das Programm wirklich besser ?

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Programmleisten und Producer sollen Ö1 neue Hörer gewinnen. Sollen nun seichte Plaudereien und bunte Magazin-Programme die Substanz verwässern? Wie steht’s um Objektivität und Pluralismus?

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Programmleisten und Producer sollen Ö1 neue Hörer gewinnen. Sollen nun seichte Plaudereien und bunte Magazin-Programme die Substanz verwässern? Wie steht’s um Objektivität und Pluralismus?

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Die vielfach geäußerten Befürchtungen zum Reformmodell des Programmschemas von Österreich 1 haben Intendant Ernst Grissemann veranlaßt, zu einem „Informationsabend über neue Programm-Schwerpunkte für Wissenschaft und Literatur in Österreich 1“ ins ORF-Zentrum zu laden. Er stellte den Rohentwurf der neuen Programmschwerpunkte, an dessen Fein schliff noch gearbeitet werden muß, vor, und interpretierte ihn unter Mitwirkung von Manfred Mixner, dem kommenden Hauptverantwortlichen für die Literatur.

Nach seiner Aussage soll aus dem bisherigen Programm von öl nicht etwas anderes gemacht werden als bisher, aber man will es „handhabbarer“ machen.. Der Programmablauf von öl soll für den interessierten Hörer — nach kurzer Zeit der Eingewöhnung — leichter merkbar werden. Die bisherige „Wirrnis der einzelnen Programm-Kästchen“ soll beseitigt werden. Das will man auf zweifache Weise erreichen:

Erstens: Zwischen Montag und Freitag soll zu jeder Stunde mit Hilfe von bestimmten „Programmleisten“ (Wortleisten, .Wissenschaftsleisten, die große Kulturleiste) der gleiche literarische oder wissenschaftliche Inhalt angeboten werden. Der Programmablauf soll gleichzeitig auch auf aktuelle Kulturereignis- se abgestimmt werden.

Und zweitens: Das Wochenende soll einem „Zuhör-Radio“ gewidmet sein. Es wird Themen auf arbeiten, die nicht unbedingt der Tages- oder Wochenaktualität entsprechen.

Der „Schulfunk“ soll nicht abgeschafft werden, aber man will — um Bildung als Chance für bildungswillige Hörer anzubieten — seine bisherige Form ändern und ihn durch fach- und rahmenüber-schreitende „integrale Sendungen“ in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Unterricht und Kunst und anderen Bildungsinstitutionen ergänzen und die neue Form „Radiokolleg“ nennen. Wie weit das „Radiokolleg“, das nun nicht mehr der Beurteilungshoheit des Ministeriums unterstehen wird, auch anderen „Bildungstendenzen“ den Weg frei machen soll, das wurde weder gesagt noch diskutiert.

Bei der Realisierung der Aufgaben der einzelnen Programmsparten aus Wissenschaft und Literatur wird man auf das „Producersystem“ übergehen. Der „Producer“ ist nach Grissemann derjenige, der die Crux au# sich nehmen muß, alle zu finden, die an dem zu realisierenden Programm mitmachen können. Er hat dann dafür gerade zu stehen. Für die „große Kulturleiste“ ist er schon gefunden: Manfred Mixner von Studio Graz. Er will es mit dieser „Leiste“ möglich machen, eine Woche lang Hörspiele, literarische Gespräche, Textanthologien und experimentelle Literatur zu bringen. Er versicherte, daß dabei die Ausgewogenheit von verschiedenen Richtungen der Literatur etwa von Tradition und Moderne gewährleistet sein werde. Die Producer der übrigen Sparten stehen noch nicht fest. Von ihrer speziellen künstlerischen und wissenschaftlichen Eignung wird die Qualität des Programms ab- hängen.

Schon am Beginn seiner Ausführungen begegnete der Intendant den vielfach geäußerten Befürchtungen, es könne zu einer krassen Reduzierung der Wortsendungen kommen, mit einer Gegenüberstellung der Anzahl der Jahresstunden der Wortsendungen im ORF und in vergleichbaren ausländischen Programmen, wobei der ORF entschieden besser abschnitt. Zum Schluß ging Grissemann auf die Ziffern der Media-Analyse ein, die allerdings problematisch ist.

Die Gesamtzahl jener, die sich mindestens einmal täglich in öl hineinhören beträgt 6,8 Prozent von 500.000. Der höchste Viertelstundenwert beim Mittagsjournal beträgt 1,7 Prozent. Noch 1982 hat Gerd Bacher allein für literarische Regionalprogramme in Oberösterreich und Steiermark weitaus größere Zahlen genannt.

Das Problem lautet heute: Der Partner welcher Hörer ist öl? Darauf nahm Rudolf Henz in seinem grundsätzlichen Statement Bezug. Er sieht den Urgrund dieser Programm-Reformdebatte auch in den Einschaltziffern, aber .er weist gleichzeitig drauf hin, daß es nirgendwo in der Welt einen Saal gebe, der auch nur 20.000 Menschen vereinige, die ein wichtiges Thema anhören. Er findet es für öl wesentlich, daß es ein Intelligenzprogramm sei, das viel stär ker als irgendwo in Europa verpflichtet als etwa Ö3. Wenn man Ö3 macht, muß man auch öl machen! Bei einer Hörerzahl von 500.0 muß sich öl beim intelligenten Publikum durchsetzen können.

Der Intendant erbat für die Erprobung des neuen Programmschemas eineinhalb Jahre Zeit; danach würde man weiterdiskutieren.

Man war sich in der anschließenden Debatte einig, daß Änderungen an sich gut seien, weil sie vor Erstarrungen bewahrten. Die Autoren wurden vom Generalintendanten über seinen Pressereferenten zu einem Dialog eingeladen. Außerdem ließ Gerd Bacher versichern, daß sich am gesetzlichen Auftrag des ORF nichts ändern werde. Seine bisherigen Inhalte sollen lediglich in neuen Gefäßen dargeboten werden.

Die jungen Vorstandsmitglieder der „Interessengemeinschaft österreichischer Autoren“, die außerdem durch ihren Präsidenten Milo Dor und ihre Vizepräsidentin Jeannie Ebner vertreten waren, zeigten sich in der Diskussion doch von Mißtrauen erfüllt. Schließlich hat sich ja ihre Voraussage vom 26. Juni 1983 erfüllt: der ursprüngliche Reformplan wird, wenn auch mit gewissen Modifikationen, durchgeführt werden. Im Mai 1984 wird es sich herausstellen, ob dieser Informationsabend nur eine der üblichen „Beruhigungspillen“ oder ob das Mißtrauen der Autoren eben doch berechtigt war. Wir werden es hören.

Der Autor ist Literaturwissenschaftler und war Begründer und langjähriger Leiter der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur.

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