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„Das Neue Hörspiel ist tot

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FURCHE: Herr Rys, kann man sagen: Hie das Neue Hörspiel — dort das konservative Hörspiel?

RYS: Das Neue Hörspiel hat sich totgelaufen. Aber es ist ein Ast eines Baumes ...

FURCHE: Dessen Vertreter aber sehr aggresiv sind gegenüber allen anderen? Ist etwa das, was das Neue Hörspiel auszeichnet, die Aggressivität seiner Autoren gegenüber der Konkurrenz? Kann man es so hart ausdrücken?

RYS: Ja, und zwar, weil sie eben die sogenannte etablierte Konkurrenz ausschalten wollten, was ihnen ja auch zum größten Teil gelungen ist.

FURCHE: Neues Hörspiel, das hieß ja wohl auch: Unter dem Schutz einer äußerst exklusiven Form, die die Masse des Hörerpublikums ausgeschlossen hat, die Botschaft der Gesellschaftsveränderung als Selbstzweck, als Unterscheidungsmerkmal einer Gruppe, als gruppendynamisches Phänomen, nicht zuletzt, um die Konkurrenz fernzuhalten. Daneben aber existiert natürlich immer das traditionelle Hörspiel, und hier gab es bei vielen Rundfunkanstalten eine große Ängstlichkeit gegenüber allem, was noch in den fünfziger Jahren als durchaus systemimmanente Kritik zur Verbesserung der Gesellschaft akzeptiert worden wäre, wenn die Kritik nicht unter dem Schutz einer exklusiven Form formuliert wurde. Hat jetzt wieder jenes Hörspiel, das diese Gesellschaft nicht umstürzen, aber verändern, das heißt verbessern will, eine Chance — also die Gesellschaftskritik unter liberalem Vorzeichen?

RYS: Damit wir nicht aneinander vorbeireden: Das Neue Hörspiel ist das experimentelle, das Wortspiel-Hörspiel, während das eindeutig politisch engagierte ein anderer Trend ist, der erst später kam. Wenn Sie fragen, ob nun nicht die Gesellschaftskritik mehr von der liberalen Seite her kommen wird — ich bin überzeugt da“ von, daß ja. Denn was nützt einem Schriftsteller, der doch bemüht ist, an der Gesellschaft zu arbeiten, wenn er es ernst meint, das theoretische Gebäude irgendeiner Doktrin — wenn das Menschliche, das menschliche Schicksal vor allem, auf der Strecke bleibt? Nichts nützt ihm das. Erstens bewirkt er nichts ...

FURCHE: Wie ist die politische Situation in den Funkhäusern?

RYS: Der Linkstrend vor allem in der Bundesrepublik (denn Österreich ist da noch weitgehend unbeleckt) hat sich Anfang der sechziger Jahre abgezeichnet, Mitte der sechziger Jahre verstärkt und dominierte — oder dominiert immer noch — die Redaktionen.

FURCHE: Was ist Linkstrend?

RYS: Das äußert sich in zwei Richtungen. Einerseits und zuerst einmal: Man würde auf den ersten Blick nie vermuten, daß so etwas wie das sogenannte Neue Hörspiel tatsächlich etwas Linkes sein könnte. Denn gerade das Neue Hörspiel ist völlig unverständlich für die Massen, an die sich doch engagierte Linke wenden ...

FURCHE: Was hat das Neue Hörspiel an Neuem gebracht, wovon wird man später sagen können, daß es vom Neuen Hörspiel in die Kunstgattung Hörspiel eingeführt wurde?

RYS: Soll ich das ganz bösartig sagen?

FURCHE: Sagen Sie es vielleicht zuerst einmal bösartig and dann gutartig!

RYS: Dann sage ich zuerst einmal: Nichts hat es gebracht.

FURCHE: Meinen Sie das wirklich, daß es überhaupt nichts gebracht hat?

RYS: Ja, das meine ich wirklich. Gutartig gesprochen, wäre das einzige, daß es, was ja jede Rebellion mit sich bringt, einen Einschnitt gesetzt hat, so daß die Autoren, die das „alte“ Hörspiel im Gegensatz zum neuen geschrieben haben, doch erschreckt

worden sind und ihre eigene Position überdenken müssen. Rein stilistisch glaube ich kaum, daß da viel hängenbleibt, denn die Elemente, aus denen das Neue Hörspiel gestaltet ist, sind uralte Elemente, nur gehäuft.

FURCHE: Sie glauben also nicht, daß im Ergebnis, in einer Synthese, beispielsweise die Möglichkeit, ins Hörspiel jene Techniken des Neuen Hörspiels zu integrieren, verbessert wurde, daß das Hörspiel hier bereichert wurde?

RYS: Das alles gab es schon früher. Das Neue Hörspiel ist lediglich ein Unendlich-Muster, man könnte es ad inflnitum schreiben, aber wer soll das noch hören? Das Neue Hörspiel ist ganz interessant als Experiment, derlei habe ich auch gemacht, aber nie veröffentlicht. Als Etüden auf der Klaviatur der Sprache habe ich das für mich selber gelten lassen, aber mehr gilbt das nicht her.

FURCHE: Wo geht also der Trend hin?

RYS: Generell würde ich sagen, und ich habe durch die Tagungen nach vier Jahren einigen Überblick: Die Motivation ist eindeutig, das Neue Hörspiel, um nicht mich, sondern die anderen zu repetieren, ist tot. Das ist vorbei, und der andere Zug mit dem roten Schlußlicht ist noch nicht ganz durch, er wirbelt noch etwas Staub auf, aber er wird auch bald in der Dunkelheit verschwunden sein. Dadurch ist momentan eine Konfusion vorhanden. Und ich schätze, daß es noch ( mindestens zwei Jahre dauert, bis es wieder, und. das sage ich ganz frech heraus, zum eigentlichen Hörspiel kommen wird, nämlich zu dem, was man mit dem Attribut Dichtung belegen kann.

FURCHE: Wie würden Sie Ihre persönliche Position als Dichter ausdrücken?

RYS: Zuerst einmal möchte ich mein Publikum amüsieren. Aber ich verstehe darunter Amüsement, das von den Musen kommt, nämlich die Benützung des Amüsements als Vehikel, um den Leuten etwas zu sagen, und es ihnen so verständlich wie möglich zu sagen, damit etwas bewirkt wird in der Welt. Aber mir genügt diese Welt, wie sie ist, so wie sie ist, nicht. Ich verstehe unter Leben nicht allein unsere Frist von der Geburt zum Tod. Für mich ist Leben etwas Größeres.

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