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Die Rechte und die Linke

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Wer Ziele, Methoden und Typen des Werkes erkennen will, der nimmt sie am leichtesten an jenen zahlreichen Stellen wahr, wo Ideen, Gestalten und Aktivitäten der Rechten mit denen der Liniken verglichen werden. Als Beispiel aus der Vielzahl der Vergleiche sei hier die Gegenüberstellung des Einigers und Führers ier österreichischen Sozialdemokratie, Viktor Adler, zur Person des diristlichsozialen Bürgermeisters von Wien, Karl Lueger, herausgestellt: • „Viktor Adler (so heißt es)

... überragt als politische Persönlichkeit ... baut die größte, bestorganisierte sozialistische Partei Europas aus... die dm „roten Wien...mit seinen Gemeindebaiuten, Schulen, Kindergärten, Heid- und Pflegeanstalten usw.... ein einzigartiges Modell für eine neuzeitliche sozialistische Großstadt darstellt.“ • „Karl Lueger (dagegen) ... Dem-agog von hohen Graden... sucht den Antisemitismus zu kanalisieren... so wie er in Wien ein modernes Kanalsystem, den Zentralfriedhof und, erstmalig, eine Stadtplanung schafft.“ Sieht man davon ab, daß das Kanalsystem nicht an der Spitze der Luege-rianischen Kommunalpolitik gestanden hat und diese Kanäle wohl eher in einem polemischen Zusammenhang mit dem Tätigkeitswort „kanalisieren“ und dem Hauptwort „Antisemitismus“ stehen, dann bleibt nur noch klarzustellen, daß der Zenträl-friedihof 25 Jahre vor dem Amtsantritt des Bürgermeisters Lueger angelegt worden ist, während eine „gewisse Stadtplanung“ nicht „erstmalig“ Ende der neunziger Jahre stattgefunden hat (Hinweise: Ringstraßenära). Bemerkenswerter als die historischen Irrtümer sind die' Vergleichspaare: Hier die Kanäle der Lueger-Zeit, dort die Wohnbauten des „roten Wien“; hier die Schulen, Kindergärten und Heil-und Pflegeanstalten des sozialistischen Modells, dort der Zentrallfriedhof des christlichsozialen Bürgermeisters; hier eine „gewisse Planung“, dort das Vollendete im „roten Wien“.

Um die Tendenz dieser schwarzen Legende vollends sichtbar zu machen, ist nur noch zu sagen, daß der soziale Wohnbau in Wien (wie auch der genossenschaftliche) schon vor 1914 und nicht erst nach 1918 in Gang gekommen ist; daß fast alle im „roten Wien“ benützten Schul-gebäude, dann die Altersheime, die Heil- und Pflegeanstalten und die zu ihrer Zeit modernsten Peripherie-spitiäler aus der Lueger-Zeit stammen; daß das „rote Wien“ (gewiß in notigen Zeiten) zumeist dort improvisiert hat, wo die Lueger-Verwaltung den Grund gelegt hat, ohne in allen Fällen (siehe U-Bahn) noch vor Ausbruch des ersten Weltkriegs letzte Hand anlegen zu können.

Sichtlich geht es dem Autor um die Konfrontation der fortschrittlichen Mentalität der Linken mit der Banausengesinnung derer von Bieloh-lawek („Wann i a Büachl sieh, dös hab i scho g'firessen.“). Wer an Lueger nicht genug bekommen hat, an Bielohiawek wird er es bekommen. Dem Historiker Heer wäre es ein leichtes gewesen, jener Fundstelle in den Stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses nachzugehen, wo zu lesen ist, was Bielohiawek dem sozialdemokratischen Abgeordneten Dr. Rattchberp, einem von Zitat zu Zitat hüpfenden rhetorischen Fa-äian, wirklich dazwischengerufen hat, als besagtes Zitat gefallen war. Nämlich: „Erzählen Sie uns einmal, was sie selber wissen... Lesen kann jeder! Aber sie können nur lesen, sonst gar nichts... Erzählen Sie einmal, was Sie selber wissen, nicht immer, was Sie gelesen haben!“

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