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Die Tragdie der Jenufa

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Der Persönlichkeit und dem Schaffen Leos Janäceks war die Musikseite in der letzten Nummer der „Furche“ gewidmet. Wir haben, bevor wir uns der gut vorbereiteten und bestens gelungenen Aufführung in der Wiener Staatsoper zuwenden, noch einige Daten und Fakten, die sich speziell auf die Oper „Jenufa“ beziehen, nachzutragen. Das Drama „Jeji patorkyna“ („Ihre Ziehtochter“) von Gabriele Preissova wurde bereits 1890 in Prag gegeben. Vier Jahre später begann Janäcek mit der Komposition des nur leicht gekürzten, sonst unveränderten Textes, die sich bis zum Jahr 1903 hinzog. In der Zwischenzeit waren Janäcek seine beiden Kinder gestorben, und er schrieb „Jenufa würde ich nur mit dem schwarzen Bande der langen Krankheit, der Schmerzen und des Wehklagens meiner Tochter Olga und meines Sohnes Vladimir umwinden“. Von dieser Klage ist viel in der Musik zu Jenufa zu hören. Der ergreifende Trauerton dominiert durchaus über die wenigen unbeschwertheiteren Momente. Die Handlung spielt unter nordmährischen Bauern. Die schöne Jenufa, Ziehtochter der Küsterin, liebt den leichtsinnigen Stewa, den Enkel der alten Burya. Als sie, noch vor der Hochzeit, von Stewa ein Kind bekommt, will ihre dämonisch-ehrgeizige Ziehmutter, die Küsterin Burya, Ehre und Glück ihres Lieblings retten, indem sie das Kind beseitigt. Aber Stewa hat sich von Jenufa abgewendet. Jetzt kann sich Laca, ein Stiefenkel der alten Burya — weniger glänzend, aber treu — Jenufa nähern.Auf Drängen ihrer Ziehmutter willigt Jenufa ein, Laca zu heiraten. Während der Hochzeit wird der Kindesmord entdeckt, an dem Jenufa unschuldig ist. Trotzdem wenden sich alle von ihr und der Schuldigen ab, nur der treue Laca nicht. So findet Jenufa doch noch ihr leidgeprüftes Glück ...

Die Musik, die Janäcek zu dieser Bauerntragödie schrieb, gehört zum Merkwürdigsten und Ergreifendsten, das man in einem Operntheater hören kann. (Das Technische haben wir in der bereits erwähnten Studie zu erläutern versucht.) Bei größter Einfachheit, ohne Effekthascherei und Raffinement, erzielt Janäcek die tiefste Wirkung, die sich, dem dramatischen Gefälle entsprechend, von Akt zu Akt steigert. Alles klingt frisch und unverbraucht und schmeckt wie ein Trunk aus einer klaren, kühlen Quelle. Diese Quelle, aus der Janäcek sein Leben lang geschöpft hat, ist die mährische Volksmusik. Und trotzdem haben wir es hier nicht mit Folklorismus, sondern mit einem echten Kunstwerk von hohem Rang zu tun ...

Die Aufführung in der Wiener Staatsoper, wo das Werk „auf allerhöchsten Wunsch“ erstmalig 1918 aufgeführt wurde, kann als mustergültig bezeichnet werden. Die Hauptpartien lagen in den besten Händen und bezeugten die Leistungsfähigkeit des „hauseigenen“ Ensembles, das unter entsprechender Führung Vorzügliches zu leisten imstande ist. Allein Sena Jurinac als Jenufa (etwa: Genoveva) macht diese Aufführung hörens- und sehenswert. Martha Modi gab die Küsterin, Elisabeth Höngen ihre Schwiegermutter, die alte Burya, Jean Cox den Stewa und Waldemar Kmentt den Laca.

Otto Schenk führte Regie. Er tut dies sehr gründlich (zuweilen etwas zu gründlich) und bevorzugt den hier durchaus angemessenen realistischen Stil. Auch hat er die Neigung, die Bühne (1. und 3. Akt) mit Menschen anzufüllen. Hier wäre weniger mehr gewesen. Aber dafür ist ständig Leben und Bewegung auf der Bühne, und was geschieht, hat seinen Sinn. Günther Schnei-der-Siemmsen liebt große Dimensionen. So geriet ihm der unten abgebildete Platz vor der Mühle wie eine Szenerie aus Vollerthuns „Islandsaga“ und das Zimmer im Haus der Küsterin wie die Gibichungenhalle. Aber dafür hat man Platz zum Agieren. Sehr schön und eindrucksvoll die durchweg in dunklen, erdhaften Farben gehaltenen Kostüme von Hill Reihs-Gromes. Jaroslav Krombholc,lyrisch-weich oder feurig, je nachdem es die Musik erfordert, ist der feine, liebenswürdige Musiker geblieben, als den wir ihn vor etwa 15 Jahren erstmalig kennengelernt haben. Er bringt — mit Hilfe der prächtig spielenden Philharmoniker — diese Musik so zum Klingen, wie es wohl nur ein Landsmann des Komponisten kann. — Dank der meisterhaften Nachdichtung des Textes durch Max Brod, der einer der ersten Fürsprecher Janäceks war, geriet das so sehr an die Wortmelodie des Mährischen gebundene ariose Rezitativ weniger hart und fremd, als zu fürchten war. Im ganzen: eine hervorragende Aufführung, ein bedeutender Abend des neuen Musiktheaters, eine gewichtige Bereicherung unseres farblosen Repertoires und am Schluß ein Applaus, wie man ihn nach einer Premiere selten hört. (Während der letzten Zeit fanden die großen, lautstarken Demonstrationen ja meist schon for der Aufführung statt...)

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