Werbung
Werbung
Werbung

"Auch das Meer ist nicht gut in Entscheidungen. Ständig ändert es seine Grenzen, fließt vor und zurück, lässt Dinge liegen und nimmt sie beim nächsten Mal dann doch wieder mit ..." Auch der Ich-Erzähler Felix hätte in jener windigen Novembernacht an der bretonischen Küste eine Entscheidung zu treffen, denn in vier Stunden läuft das Ultimatum ab, das Katharina ihm und Konrad gestellt hat. Ach ja: Katharina ist ihr Entführungsopfer und das Ultimatum besteht darin, eine Bedingung für ihre Freilassung zu finden. Andernfalls würde sie die Entführung abbrechen und nachhause fahren.

Aus dieser Ausgangssituation entwickelt Tilman Rammstedt in Rückblenden die Geschichte eines zu Studentenzeiten unzertrennlichen Dreigespanns, das dann irgendwann in ein Dreiecksverhältnis überging, dem sich Katharina schließlich durch Flucht entzogen hat. Vieles blieb unausgesprochen und man verliert sich für ein paar Jahre aus den Augen, bis sich Felix und Konrad anlässlich einer Einladung zu Katharinas Hochzeit zu einem Überraschungsbesuch verabreden. Diese fühlt sich überrumpelt, der Abend verläuft äußerst zäh, doch anstatt sich mit dem Reinfall abzufinden, wird Katharina entführt; man entwendet ein Auto, fährt in ein leer stehendes Ferienhaus in der Bretagne und die Farce geht in Verlängerung.

Diese unwahrscheinliche Story funktioniert trotzdem ziemlich gut, und zwar zum einen, weil Rammstedt ein feines Gespür für absurd-komische Situationen zeigt, die er auch sprachlich gekonnt umsetzt. (Ein Kabinettstück ist hier sicher die "Verfolgungsjagd" mit den Rollkoffern im Supermarkt ...). Zum anderen verzichtet der Autor bewusst darauf, seine drei Protagonisten sozial zu vernetzen. Selbst Katharinas zukünftiger Ehemann bleibt äußerst vage, die Figuren existieren nur in ihrem, zumindest früher auch erotischen Verhältnis zueinander. Weiters verbindet sie eine große Unbestimmtheit in ihrer Lebensplanung, alles passiert irgendwie und zufällig; so hat Felix in erster Linie nur deshalb Medizin studiert, weil "einen niemand fragt, was man damit später mal machen möchte". Und dann ist man plötzlich Mitte Dreißig und noch immer nicht recht erwachsen.

Der Autor stößt seine Figuren in eine Versuchsanordnung, in der sie ihre Willensfreiheit beweisen und ihren fremdbestimmten Lebensverläufen eine neue Richtung geben könnten. Das würde angesichts der Vielzahl an Möglichkeiten allerdings entscheidungsfähige Individuen voraussetzen, doch zunächst einmal spielen die beiden Buben "Fang den Hut" und die einzigen Entscheidungen, die getroffen werden, betreffen die Spielfarben. Und Katharina? Von ihrer Bereitschaft mitzuspielen wird letztendlich alles abhängen, aber mehr sei hier nicht verraten.

Dass manche lebensphilosophischen Erkenntnisse etwas banal daherkommen, sieht man dem Autor gerne nach, denn allzu ernst sollte man dieses sehr vergnügliche, durchaus subversive Buch ohnehin nicht nehmen. - Wann haben Sie eigentlich zuletzt eine/n alte/n Bekannte/n entführt?

WIR BLEIBEN IN DER NÄHE

Roman von Tilman Rammstedt

DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2005. 240 Seiten, geb., e 20,50

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung