6612410-1955_08_11.jpg
Digital In Arbeit

Floras Fauna

Werbung
Werbung
Werbung

Paul Flora kann mit dem Ergebnis seiner großen Kollektivausstellung in der Wiener Secession zufrieden sein-. Nicht nur, daß die Presse dem Innsbrucker Zeichner alles erdenkliche Lob gespendet hat; auch der Verkaufserfolg läßt sich kaum günstiger denken. Schon in den ersten Tagen waren einzelne Blätter mit dem kleinen weißen Schildchen „Verkauft“ gekennzeichnet; und das ist sehr, sehr selten in Wien. Gewiß, Staat und Stadt kaufen pflichttreu hier und da das eine oder andere Bild auf, um es irgendwo zu placieren, wo es wenig gesehen wird; aber daß Bilder aus reiner Freude am Gegenstand gekauft werden, damit man sie besitzt und immer wieder anschauen kann — also von privaten Ausstellungsbesuchern —, das ist ein Ereignis, das verdient, besonders vermerkt zu werden.

Die Blätter sind nun schon von den Wänden verschwunden und durch die Faschingsphantasien der Kinder ersetzt worden; Flora hat uns aber zur näheren Ergötzung an seinem Werk (wie falsch wären hier Ausdrücke wie: Beschäftigung oder Auseinandersetzung!) ein Büchlein „Floras Fauna“ zurückgelassen, das ihn im letzten Jahr rasch bekanntmachte. Es ist im Diogenes-Verlag, Zürich, erschienen und nennt sich „Eine abendländische Biologie in 77 neuzeitlichen Bildern“. Seine neue Kollektivausstellung in der Galerie Wolfgang Gurlitt in München wird ihn jetzt weiter bekanntmachen.

Floras Fauna, das sind Meerjungfrauen, Amazonen und Zentauren, eifrige Weltraumforscher und brave Bürger, Jäger, die das Wild verfehlen, Künstler, die sich mit der Leinwand abquälen, Vögel und Vogelscheuchen, Revolutionäre, Polizisten und zerbrochene Krüge, mit einem Wort: gescheiterte und gestrandete Existenzen aller Art. Aber Flora verspottet sie nicht, er spottet überhaupt nie, er liebt sie alle, er denkt sich in sie hinein, er faßt Mitleid mit ihnen und versteht sie. Deshalb hat er sie alle aufgezeichnet, die sie alle irgendwie unglücklich sind und doch nicht verzweifelt, damit auch wir sie verstehen.

Floras Strich ist so ebenso zart wie sein Humor. Hier ist ein Seidenspinner am Werk; die Linien sind manchmal fast gar nicht mehr zu sehen, ja, sie sind unterbrochen. Ein solcher Humor kann nie verletzend sein. Wer sich in Seide kleidet, greift nicht an. Flora läßt seine Fauna über sich selbst lachen, er nimmt sie ernst und behandelt sie sorgfältig wie alte Freunde, mit denen er sich's nicht verderben will.

Flora wurde immer wieder mit Paul Klee verglichen; die beiden haben viel gemeinsam; allein eines trennt sie: Klee ist hintergründig, metaphysisch. Seine „wunderbare Landung“ wird immer wunderbar, immer unbegreiflich bleiben. Flora aber versteht nicht nur alles, er macht auch alles begreiflich; bei ihm bleibt kein unauflösbarer Rest wie bei Klee. Hier hat Floras Fauna ihre Grenze. Das hinderte aber nicht, daß einige Kritiker auch ihn „kosmischhintergründig“ fanden und bei ihm „Bereiche jenseits des Rationalen“ entdeckten. Flora wird ihnen nicht böse sein; vielleicht denkt er sich einmal in sie hinein (wenn ihm das gelingt), und er zeichnet sie dann. Es könnten heitere Blätter werden.

Flora ist auch Illustrator. Ein herrlicher Illustrator. Seine Illustrationen freilich können mitunter gefährlich werden. Denn sie leben immer aus sich selbst, und so kann es passieren, daß wir über sie die Geschichte, für die sie bestimmt waren, ganz vergessen. Ein einziger seiner kleinen, zierlichen Tiger frißt eine ganze Tigerjagdstory. Mit Haut und Haar. Und leckt sich dann das Mäulchen, als ob das ganz selbstverständlich wäre.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung