"Unabhängig von der Provinz"

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Sein Ideenvorrat scheint unerschöpflich zu sein. Seine Motive bannt er mit Leichtigkeit auf das Papier. Sein Arbeitswille ist ungebremst: Der Zeichner Paul Flora feierte seinen 80. Geburtstag. Im Furche-Gespräch gibt er Auskunft über seine Arbeit und seine kritische Verbundenheit mit Tirol.

Die Furche: Herr Flora, Sie sind ein sehr "fleißiger" Zeichner. Allein im letzten Jahr beschickten Sie acht Ausstellungen. Gilt für Sie der Spruch "Wer rastet, der rostet"?

Paul Flora: Ich habe überhaupt kein Motto. Die Galerien wollen Ausstellungen veranstalten, und ich komme diesem Wunsch gerne nach, soweit es mir möglich ist. Schließlich lebe ich vom Zeichnen. Ich wüsste ja nicht, was ich am Vormittag außer zeichnen tun soll.

Die Furche Die Liste Ihrer Ausstellungen im In- und Ausland ist lang. Darunter finden sich viele kleine österreichische Orte. Haben Sie ein Herz für die Provinz?

Flora: Wenn ich von Veranstaltern in kleinen Orten angefragt wurde, habe ich immer mit Freude zugesagt. Zu einer Ausstellung zu fahren ist ein Anlass, das Land kennenzulernen. Ich war in Orten, die keiner meiner Bekannten bereist hat. Ich habe in der Südsteiermark, im Burgenland, im Weinviertel, in Oberösterreich, im Osttirol und sogar im Bayrischen Wald, wo nur ein Gasthaus, ein Bauernhaus und ein Schloss war, ausgestellt. Nie aus Geldgier, sondern aus Neugier.

Die Furche: Dienen Ihre Reisen dazu, neue Eindrücke für Ihre Arbeit zu gewinnen?

Flora: Nein, ich muss gestehen, wenn ich das Haus verlasse, fällt jede Arbeitsabsicht von mir. Ich verreise gern, zur Abwechslung, aber nicht länger als vierzehn Tage und nicht allzu weit weg. Sri Lanka oder die Malediven interessieren mich überhaupt nicht. Wenn ich einen Kreis von 1.000 km um Innsbruck ziehe, dann ist da soviel zusehen, dass mein Leben gar nicht ausreicht, um dies alles anzuschauen.

Die Furche: In Ihrem umfangreichen Werk findet sich eine Fülle an Themen, die Sie behandeln. Woher kommt Ihre Inspiration?

Flora: Beim Arbeiten fallen mir die Motive unweigerlich ein. Ich zeichne seit 1937, da ist ein gewisser Ideenvorrat immer da. Ich komme nicht in Verlegenheit, dass ich vor dem Papier sitze und nicht weiß, was jetzt da draufkommt. Am Schreibtisch ergeben sich viele brauchbare Modelle. Nehmen wir zum Beispiel Venedig. Diese Stadt ist ein gutes Modell.

Die Furche Neben den Sehenswürdigkeiten und dem Karneval von Venedig widmen Sie sich in Ihren Werken auch der Geschichte. Die Atmosphäre dieser Stadt scheint Sie zu beeindrucken?

Flora:Venedig ist der einzige Ort auf der Welt, wo man nie zu spät kommt, weil er immer gleich bleibt. Wo immer die Leute heutzutage hinfahren, zum Beispiel an die Riviera, sagen sie, dass es früher viel schöner gewesen sei. Das kann bei Venedig nicht passieren. Für den Film "Die Raben von San Marco", den ich 1989 für den ORF drehte, habe ich mich ausführlich mit der Geschichte dieser Stadt beschäftigt, und sie ist wirklich hochinteressant. Wenn man Phantasie hat, kann man sich vorstellen, was in diesen Häusern passiert ist und welche Berühmtheiten früher herumgewandelt sind: Goethe, Casanova oder Wagner. Venedig ist für mich ein angenehmes Reiseziel. Ich brauche nicht Angst haben, überfahren zu werden. Im November und im Jänner ist es dort am allerschönsten.

Die Furche Ein weiteres bekanntes Motiv, Ihre Raben, geben Anlass zu vielen Spekulationen. Haben die Vögel eine besondere Bedeutung?

Flora: Mit denen hat es nichts Geheimnisvolles auf sich. Die Käufer meiner Zeichnungen wollen eben mitunter Raben, also zeichne ich diese Tiere. Raben sind schwarz, mit der Tuschfeder angenehm zum Ausführen. Außerdem sind sie merkwürdig, geheimnisvoll, ein Symbol der Weisheit und des Unglücks.

Die Furche Am Anfang Ihres Schaffens waren Sie vierzehn Jahre lang als politischer Karikaturist für die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" tätig. Ihre Beiträge wurden in bekannten europäischen Zeitungen, sogar in den USA, abgedruckt. Warum haben Sie damit aufgehört?

Flora:Ich wurde zu sehr als Karikaturist identifiziert. Ich erreichte zwar ein Millionenpublikum und wurde populär, aber auf eine falsche Weise. Es war ein hochbezahlter Traumjob, aber auf Dauer gesehen unbefriedigend. Im Grunde genommen zeichnet man immer das Gleiche, denn die Politik und die Daten ändern sich nicht, nur die Menschen. Deshalb hörte ich auf.

Die Furche Was war das Erfolgsrezept Ihrer Karikaturen?

Flora: Zum einen waren damals schlichte, "sparsame" Zeichnungen neu. Deshalb sind sie auch viel nachgemacht worden. Manche Menschen stört das ungemein, für mich war das ein Kompliment. Mir ist jeder recht, der meinen Stil imitiert. Zum anderen ließ es der nötige Abstand, den ich als alpiner Österreicher zur internationalen und deutschen Innenpolitik hatte, zu, dass ich die Ereignisse sozusagen spielerisch betrachten konnte. Die deutsche politische Karikatur wurde damals von ganz ernsten Menschen betrieben, während ich die Sache ziemlich locker angegangen bin.

Die Furche Wie schätzen Sie die heutige österreichische Karikaturszene ein?

Flora: Es gibt hochbegabte Leute bei uns, wie den Haderer, Deix oder Sokol und eine Menge von guten Porträtkarikaturisten, da sind die Österreicher ja fast Weltmeister. Aber ihre Art zu zeichnen ist eine völlig andere. Sie malen ja geradezu Gemälde!

Die Furche: Ihre Landsleute haben Sie zeichnerisch nicht verschont und am Heldenmythos vom Andreas Hofer ein bisschen gekratzt.

Flora: Die Tiroler sind natürlich ein vorzügliches Modell. Teilweise sehr komisch, sehr pittoresk anzusehen, wenn sie sich verkleiden beim Trachtenumzug. Sie sind einfach ein origineller Volksstamm und lassen sich gut zeichnen.

Die Furche: Sie selbst sind aber auch Tiroler!

Flora: Ja, natürlich. Vielleicht bin ich auch originell, das weiß ich nicht. Wir Tiroler sind ein merkwürdiges Volk. Wir gelten in der Welt als etwas Besonderes, das nützen wir auch reichlich aus.

Die Furche: Was in Tirol geschieht, berührt Sie. Immer wieder haben Sie sich zu Wort gemeldet.

Flora: Ich mische mich überall ein, wenn es mir nötig scheint. Ich habe natürlich den Vorteil, dass ich beruflich unabhängig bin. Ich kann über jeden schimpfen, der mir nicht passt. Mein beruflicher Werdegang hatte nie mit den lokalen Geschehnissen zu tun. Ich war immer davon gefeit, ein Lokalheld zu sein. Das ist das Schlimmste, was es gibt. In jeder Stadt, so auch in Innsbruck, gibt es ein halbes Dutzend Leute, die den Ruf haben, in ganz Europa bekannt zu sein. Schon in Rosenheim, cirka 20 km hinter der Tiroler Grenze, kennt sie kein Mensch mehr. Ich lebe gern in Innsbruck, in der Provinz. Aber ich bin nicht abhängig von ihr, kann also von ihr nicht verdorben werden. Wäre es so, müsste ich auf dieses und jenes Rücksicht nehmen. Das ist mir von jeher erspart geblieben. Das ist g'sund für die Psyche!

Die Furche: War diese Unabhängigkeit der Grund, dass Sie in den neunziger Jahren den Tiroler Landespreis abgelehnt haben?

Flora: Mich ärgerte die Vorgangsweise. Mit meiner Verweigerung wollte ich daraufhinweisen, dass es Unfug ist, mit Preisverleihungen zu warten bis man 75 Jahre alt ist. Ist der Mensch jung, tut die Welt nichts für ihn. Ist man alt und braucht kein Geld mehr, wird man mit Preisen überschüttet. Besser der Künstler bekommt das Geld, der es nötig hat.

Die Furche: Auch wenn Ihre Art zu zeichnen humorvoll ist, hat das Vergängliche Platz. Sie sperren den Tod nicht aus.

Flora: Humor ist eine ernste Angelegenheit, und vom Gemüt her sind die Humoristen melancholisch, pessimistisch. Die Selbstmordrate unter ihnen und den Karikaturisten ist sehr hoch. Ich neige nicht zu Depressionen. Aber natürlich gewinnt das Vergängliche mit zunehmendem Alter an Bedeutung. Ich gehe auf die achtzig zu, da scheiden die Menschen links und rechts von mir dahin. Halbwegs gesund und bei klarem Verstand die verbleibende Zeit zu erleben, wäre mein Wunsch.

Das Gespräch führte Brunhilde Steger.

Der Rabe von Tirol

Paul Flora ist einer der bedeutendsten Zeichner der Gegenwart. 1922 in Glurns/Südtirol, geboren, übersiedelte er fünf Jahre später mit seiner Familie nach Innsbruck. Die düsteren Figuren des Zeichners und Schriftstellers Alfred Kubin beeinflussten den jugendlichen Flora. Ende 1945 fand in Bern seine erste Ausstellung statt, 1947 folgte in Wien die erste österreichische. In seinem typischer Zeichenstil - feine, parallel geführte Linien - bringt Flora in humorvoll-ironischer Weise seine Figuren mit Tusche zu Papier. Der Innsbrucker ist auch ein Meister des Wortes. Bisher hat er über 40 Geschichtensammlungen (meist im Diogenes Verlag, Zürich) veröffentlicht. Selbst mit achtzig wird der Künstler nicht ausstellungsmüde. Unter anderem ist für heuer geplant:

ab 18. Juni in der Galerie Seywald, Salzburg

ab 25. Juni in der Galerie Flora, Innsbruck

ab 25. November große Retrospektive des Kunsthistorischen Museums

im Palais Harrach in Wien.

Zum Geburtstag erschien auch das Buch Paul Flora / Karl-Markus Gauß: Ein Florilegium (Im Otto Müller Verlag / Galerie Seywald), das Zeichnungen Floras und ein Flora-Alphabet von Karl-Markus Gauß vereint.

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