Mit geistvoller Bosheit

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Ein Sittenbild des ländlichen Kataloniens vor 50 Jahren erzählt Josep Pla.

Der Sinn der Lebens? "Wir alle wissen um den Sinn unserer eigenen Existenz … Das Problem ist nur, dass der Sinn unseres Lebens, wenn nicht schlankweg töricht, so doch etwas dermaßen Kleines und Unbedeutendes, etwas so überaus Lächerliches ist, dass man es nicht einmal den besten Freunden anvertrauen kann."

Josep Pla, der berühmteste Autor Kataloniens (1897-1981), dessen gesammelte Werke 46 Bände, 30.000 Seiten umfassen, war kein Zyniker, wie das Eingangszitat nahe legen könnte. Grund zur Bitterkeit hätte er zwar gehabt, denn wenige Monate der Gefolgschaft für das Franco-Regime genügten, ihm die öffentliche Anerkennung für seine herausragenden journalistischen und schriftstellerischen Leistungen jahrzehntelang zu versagen. Die Linke Kataloniens ignorierte die Tatsache, dass Pla unter Francos Verbot, die katalanische Sprache zu benutzen, selbst zu leiden hatte und sich nach anfänglicher Hoffnung auf einen Ausweg aus dem Bürgerkriegs-Morden angewidert von dem Diktator abwandte. Der Weitgereiste, der aus Italien, England, Russland, Deutschland und Israel lesenswerte Reportagen lieferte, zog sich in ein katalanisches Dorf zurück.

Leben ohne Handlung

Dank des Schwerpunkts Katalonien der diesjährigen Frankfurter Buchmesse wird jetzt eifrig aus dem Katalanischen übersetzt. So erscheint etwa eine Auswahl aus Josep Plas Tagebuch aus den Jahren 1918/19 unter dem Titel "Das graue Heft" bei Suhrkamp. Plas Roman "Enge Straße" ist 1951 erschienen.

"Irgendwann einmal bekam ich Lust, die Stendhalsche Idee vom Spiegel umzusetzen … Also hielt ich einem kleinen Dorf namens Torrelles mit etwa viertausend Einwohnern einen Spiegel vor … Der Spiegel ist etwas Passives, er vermag die Dinge nicht zu ordnen. Wenn er keine Geschichte wiedergibt, so darum, weil sich vor ihm keine abspielt." Pla glaubte nicht, dass das Leben eine Handlung hat. Daher gefiel ihm Stendhals Idee vom Schriftsteller so gut, der wie in einem Spiegel das chaotische, komische, groteske und bisweilen traurige Leben unfrisiert einfängt. Also bietet "Enge Straße" keine Geschichte mit dramatisch geschürztem Knoten, sondern ein Sittenbild des ländlichen Katalonien vor 50 Jahren.

Ein junger Tierarzt kommt in die Provinz, findet Quartier in der "Engen Straße" und eine gute Köchin, die ein Tratschweib ist. Durch sie erfährt er von einem unscheinbaren Mädchen, das ein aktives Liebesleben mit drei Freiern unterhält, die sie alle drei heiraten wollen, als sie schwanger wird. Jeder der drei glaubt nämlich, die Konkurrenten würden sich nur brüsten mit der Behauptung, sie seien auch erhört worden.

Das Mädchen kann sich nicht entscheiden, lässt die Wahl ihrer kranken Tante über, und diese bittet den Pfarrer um eine Lösung, auf die König Salomon stolz gewesen wäre. Dann ist da noch der Barbier, der sich einen gesunden Zahn ziehen lässt, um seiner schreckhaften zahnweh-geplagten Gattin zu zeigen, dass es nicht weh tut - und dann wankt er halbtot vom Zahnarztsessel.

Da sind die Dorfhonoratioren, alle verheiratet, die sich beim wöchentlichen Kartenspiel als Frauenhasser entpuppen. Nicht zu vergessen: Ein Großvater mit nur einem Enkel, den er mit Geldmünzen verwöhnt. Als das Kind eine verschluckt, wartet das ganze Dorf, dass endlich im Töpfchen ein "Pling" erklingt, und als es so weit ist, bekommt der Großvater einen Herzschlag.

Einfach, klar, ironisch

Pla forderte drei Dinge von sich beim Schreiben: Einfachheit, Klarheit, Ironie. Auf jeder Seite wird der Leser zum nachdenklichen Schmunzeln gebracht. "Wenn Frauen älter werden, pflegen sie den jugendlichen Kitzel der Liebe gegen die pikante Morbidität des Klatschs einzutauschen", berichtet der junge Tierarzt über seine angegraute Köchin. Jede Geschichte nimmt eine unerwartete Wendung, und jede enthält mindestens eine geistvolle Bosheit.

Pla hat das Landleben weder heroisiert noch denunziert. Er schrieb schon gar nicht fürs Ausland, also etwa, um seine Landsleute als exotisch darzustellen. Er beherzigte einfach Tolstois Rat, der lautete: Wenn du dein Dorf gut beschreibst, beschreibst du damit die ganze Welt gut.

Enge Straße

Roman aus der katalanischen Provinz

Von Josep Pla. Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt

Ammann Verlag, Zürich 2007

283 Seiten, geb., € 23,60

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