6775291-1969_19_09.jpg
Digital In Arbeit

Vom Geheimnis des Haiku

19451960198020002020

Zahlreich sind die Übersetzungen japanischer Haiku-Gedichte in europäische Sprachen. Aber — originale deutsche Haiku ins Japanische übersetzt und in der führenden Haiku-Zeitschrift in Tokio veröffentlicht, das ist eine seltene Ausnahme. Wir haben Imma Bodmershof, die Autorin dieser deutschen Haiku, gebeten, uns zu erzählen, wie es dazu kam. Hier die Geschichte:

19451960198020002020

Zahlreich sind die Übersetzungen japanischer Haiku-Gedichte in europäische Sprachen. Aber — originale deutsche Haiku ins Japanische übersetzt und in der führenden Haiku-Zeitschrift in Tokio veröffentlicht, das ist eine seltene Ausnahme. Wir haben Imma Bodmershof, die Autorin dieser deutschen Haiku, gebeten, uns zu erzählen, wie es dazu kam. Hier die Geschichte:

Werbung
Werbung
Werbung

Viele Menschen machen die Erfahrung, daß sie in Seelenlandschaften beheimatet sind, die dem leiblichen Zuhause fern liegen. Mir ging es so bei meiner ersten Begegnung mit den japanischen Haiku-Gedichten.

Diese fernöstliche Kunst der Andeutung, des Weglassens alles Unwesentlichen, dieses Fassen einer ganzen Welt in einem Gebilde klein wie ein Tautropfen, packte mich und ließ mich nicht mehr los. In dieser Form des Dreizeilers mit den 17 Silben mußte der eigene Ausdruck auch im Deutschen möglich sein. Freilich sah ich zugleich auch die Gefahr des Dilettantismus. 17 Silben kann schließlich jeder hervorbringen, und wirklich häufen sich unter diesem Namen ganze Gebirge von Drei-zeilern, die im strengen Sinne keine Haiku sind, sondern bloß Bildimpressionen, Aphorismen oder Ausdruck subjektiver Gefühle — nicht nur bei uns, sondern auch in Japan. Es ging darum, in dieser Kunstform das Wesentliche zu fassen, das sich aber dem direkten Zugriff entzieht: etwas Unausgesprochenes, das dam Haiku erst seine Wirkung gibt. Es hat mit der Doppelnatur des Menschen zu tun, mit seiner diesseitigen und seiner anderen, die ihn wohl erst zum Menschen macht — dieses andere aber entzieht sich jeder Aussage. Im echten Haiku will das Geheimnis des Lebens, das uns umgibt und das alles, auch: das Klemste* durchdringt, spür-. i4>a werden. SolcherHaliku; kann man; nicht „machen“, sie entspringen einer bestimmten Haltung, einem glücklichen Augenblick.

Das Manuskript mit meinen ersten hundert deutschen Haiku lag zur Prüfung beim Langen-Müller-Verlag, als in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ein großer Aufsatz über das japanische Haiku von Erwin Jahn erschien, der 30 Jahre lang an den Universitäten von Kyoto und Tokio deutsche Literatur gelehrt hatte. Nach einer sehr eingehenden Analyse der japanischen Haiku-Kunst endeten die Darlegungen mit der Aussage, echte Haiku könnten in Europa nicht geschaffen werden. Zum ersten deswegen, weil hier kein Dichter mehr in solcher Verbundenheit mit der Natur lebt, wie die alten japanischen Haiku-Meister, und zum zweiten, weil diese Kunst nur aus dem Grunde der ZEN-Kultur erwachsen konnte, dem Europäer aber die wahre ZEN-Haltung verschlossen sei. Dr. Joachim Schondorf, der den Langen-Müller-Verlag leitete, sandte mir den Artikel ohne weiteren Kommentar. Nun gab es nur eines: das Manuskript an Professor Jahn zu schicken. Sein Urteil sollte entscheiden, und ich war bereit es anzunehmen, wie immer es ausfiel. Der Brief, den er mir daraufhin schrieb, gehört zu den schönsten, die ich je bekam, er begründete eine Freundschaft, die bis zu seinem Tode währte. Ich solle mir keine Sorgen machen, schrieb er, meine Haiku trügen den Maßstab für eine kommende deutsche Haiku-Dichtung in sich. Es sei ihm bei der Lektüre zumute gewesen wie nach einer langen Wanderung in glühender Hitze an japanischen Reisfeldern vorbei, wenn ein schattiger Shintohain den Wandernden aufnahm.die in leichte Nebelschleier gehüllte hügelige Landschaft, und das Gespräch ging zwischen uns dreien, Hoshino, meinem Mann und mir wie zwischen alten Freunden. „Hier, zum erstenmal in Europa, fühle ich mich zu Hause“, sagte unser Gast. Nach Japan zurückgekehrt veröffentlichte er in der Zeitschrift „Haiku“, die nur den führenden japanischen Haiku-Dichtern jeweils eine Seite zur Verfügung stellt, einen seitenlangen Bericht über Rastbach und die dort entstandenen Haiku. Einige Nummern später folgten wiederum viele Seiten mit den Übersetzungen dieser Haiku. In der weiteren Folge be-

Nacht. Nur ein Kater

ein Wachmann der volle Mond

— was suchen die drei?

Silbernes Wogen

im blühenden Kornfeld — hörst

du das leise Lied?

Leuchtkäfer funkeln

Jetzt steigt der Mond aus dem Wald,

ich seh sie kaum mehr.

Blendender Vollmond.

Nur auf den Wellen sein Licht

kann ich ertragen.

Im Schatten sogar wendet die Sonnenblume ihr Haupt nach Osten.

'isM'bm* GlühenB? bi-

des Rittersporn, nur Asche im ersten Dämmern.

Rauch meiner Hütte

greift nach dem Mond. Der entsteigt

läßt mich nicht schlafen.

Fort mit den alten Schuhen! Da schrien sie: wir trugen dich zur Liebsten!

Der Leuchter fürs Fest — verbogen und alt? Das Licht das er trägt brennt hell.

Taunacht — die Quellen

selbst das Meer hör ich rauschen

im Bach vor dem Haus.

Mond schwimmt auf dem Strom

ein großer Fisch springt herauf —

will er ihn schlucken?

Mein Blumensamen verweht im Wind. Geht er auf in fremden Gärten?suchten uns Professor Sadamu Fuji-wara und ein Jahr später Professor Susumu Ishikawa in Rastbach. Immer empfanden wir die gleiche Zusammengehörigkeit, es war das Erlebnis eines geschützten Bezirkes, in dem wir i alle heimisch waren, in einer von Maschinen und Fabriken bedrohten und immer mehr eingeengten Welt — in Japan nicht anders als in Europa.

Soweit die von Robert J. Koc aufgezeichnete Vorgeschichte. Nun legen wir hier eine neue Folge Haiku von Imma Bodmershof vor, die demnächst im Rahmen der Stifter-Bibliothek, Salzburg-München, unter dem Titel „SONNENUHR — HAIKU“ erscheinen werden. Wer sich für die Gattung Haiku und die sie bedingende Natur- und Lebensphilosophie eingehender interessiert, sei auf die „Studie über das Haiku“ von Wilhelm Bodmershof hingewiesen, den Autor des Buches „Geistige Versenkung“.

Heimfahrt. Aus der Nacht reißt das Licht Meilensteine — immer noch einen.

Im schäumenden Sturz

braust der Wildbach. Will er denn

heut noch am Meer sein?

Spiel goldner Bälle!

Schwebend durch den Morgentraum

der Ruf des Pirol.

Fremdes Mondenlicht

auf der Sonnenuhr — wo gilt

die Zeit der Monduhr?

Blätter am Boden,

braun, golden rot — nicht einmal

fand ich ein schwarzes.

Der Tag sinkt hinab

vor der Leere des Himmels

stehen die Föhren gebeugt.

Die Sonne versinkt. Vom Brachfeld aus späht ein Goldfasan ins Dämmern.

Spät im Abendlicht leuchten Bergwege auf andre als mittags.

Der Herbstabend sinkt, zärtlich ein Ton: o Grille, rufst du den Sommer?

O dieser Seewind!

Selbst die Krähen trägt er hin

als wären's Möwen.

Zog die Lade auf,

die Farben sind vertrocknet,

der Pinsel ist steif.

Fast hundert Schlüssel — das Kästchen mit dem Juwel öffnet mir keiner.

IMMA BODMERSHOF, Preisträgerin der Stadt Wien für Dichtkunst (1969)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung