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Anleitung zum Dichten

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Was sind Limericks? Sie sind die Volksdichtung der Intellektuellen. So erklärt der Autor dieser Sammlung lapidar. Und woher kommt der Name? Aus dem Irischen, natürlich. Von der irischen Stadt Limerick, wo angeblich die ersten Stücke dieser Gattung fabriziert wurden. Bald bildete sich eine ganz feste, streng zu beobachtende Form heraus, die deshalb so wichtig ist, weil sie den Geist dieser Blödelgedichte bestimmt. Zunächst was die Reime betrifft: sie sind nach dem Schema a a b b a angeordnet. Von den fünf Zeilen, aus denen jedes „Gedicht“ besteht, sind die ersten beiden dreihebig, die nächsten beiden zweihebig — und der Ab- schlußvers, die letzte Zeile, wieder dreihebig.

Diese alte irische Reimregel wird auch im Deutschen genau eingehalten, und es ist sehr merkwürdig, wie sehr diese Form und die oft schwachsinnig erscheinenden Reime zu Gewagtheiten aller Art, besonders zu einer gewissen erotischen Drastik verführen. — Doch dürfen wir uns dem guten Geschmack des Autors Günther Braun ruhig anvertrauen, der hauptberuflich Mathematik, Physik und Chemie unterrichtet — aber nicht in Limerick, sondern in Gelsenkirchen. Das logische, disziplinierte Denken des Mathematikers und Naturwissenschaftlers hat ihn für die strenge Form der Limericks prädestiniert — aber was er in ihnen mitteilt — nun, das ist seine persönliche Sache. Doch nun einige Beispiele:

Ein Schriftsteller in Zakopane, der lebt anscheinend im Trane.

Er lallt ohne Sinn vor sich Ortsnamen hin.

Er verfiel wohl dem Limerick-Wahne.

Unter dem Titel „Der Appetit kommt beim …“ lesen wir:

Es war eine Maid in St. Gallen dem Schatz zu Gefallen gefallen und tat nun mehr allen den gleichen Gefallen; denn sie fand nun Gefallen am Fallen.

Offtfr:

Verwundert bemerkt ich in Taschkent,

daß niemand in Taschkent den Hasch kennt

Doch Westdeutsches Fernsehn mag jeder dort gern sehn So kommt’s, daß auch Taschkent — Dash kennt.

Limericks sind ansteckend. Sie haben auch bereits nach Österreich übergegriffen. Zu Neujahr sandte

Hans Weigel an seine Freunde eine kleine Auswahl, aus der wir wenigstens zwei zitieren möchten:

Es lebte ein Häuptling in Kenia, der las nur Lernet-Holenia;

In den spärlichen Pausen, statt Menschen zu schmausen, hörte er Brecht von der Len ja.

Und das zweite Stück:

Ich kenn einen alten Meraner,

Stets redet von Minne und Wahn er, Sein Kind heißt Brünhilde, da ist man im Bilde:

Der Mann ist bestimmt Wagnerianer.

Die im Buchtitel angegebenen Cierihews sind verkürzte Limericks, ein bissei simpel, und sollen daher nur erwähnt werden. — Hingegen: Wer dächte bei der aphoristischen, streng geregelten Form der Limericks nicht an eine andere, formal verwandte, die Haiku? Aber diese sind konzentrierte Poesie und Philosophie, stets an eine Natur- oder Jahreszeit stimmung gebunden oder von einer dichterischen Erkenntnis erleuchtet. Bereits im 16. Jahrhundert wurde die Kunst des Haiku in Japan durch kaiserliches Dekret geregelt und die Haiku-Schulen streng kontrolliert. Die Form ist noch konzentrierter. Jedes Haiku hat nur drei Zeilen: auf die fünfsilbige Zeile folgt die mittlere mit sieben und auf diese die letzte mit fünf, insgesamt also 17 Silben, keine mehr und keine weniger. Hier zwei Haiku von Imma Bodmershof, deren schön ausgestattete und illustrierte Sammlung im Verlag Langen-Müller erschienen war und seinerzeit zuwenig beachtet wurde. Bei uns. Umso größere Anerkennung fand sie bei japanischen Germanisten, und eine Neuauflage ist in der Stifter-Bibliothek Salzburg unter dem Titel „Sonnenuhr“ erschienen. Hier zwei Beispiele:

ICH SCHLOSS ALLES ZU WOLLTE SCHLAFEN.

DOCH DER TRAUM RIEF MICH BEIM NAMEN.

Und:

DER GROSSE FLUSS SCHWEIGT MANCHMAL NUR TÖNT ES LEISE UNTER DEM EISE.

Also entscheiden Sie sich, wenn Sie ein wenig dichten wollen. Oder noch besser: versuchen Sie es mit dem einen und dem anderen Genre!

GEREIMT IST ALLES MÖGLICH. Leicht sinnige Limericks & Cierihews mit Illustrationen von Joachim Kupke. Von Günther Braun. Deutsche Verlagsnstalt, Stuttgart. 96 Seiten.

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