"Dort ist die Tür"

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Billy Wilder, der dieser Tage 100 Jahre alt würde, war - lang vor seiner Hollywood-Karriere - in Wien als Reporter beim "Revolverblatt" "Die Stunde" tätig. von michael krassnitzer

Sie sind Reporter?" fragte Sigmund Freud den Besucher, der ihm gemeldet worden war. "Jawohl, Herr Professor", sagte der junge Mann. Freud hob nur seine Hand: "Dort ist die Tür." Der Hinausgeworfene war niemand geringerer als Billy Wilder, aus dem später einer der größten Regisseure des klassischen Hollywood-Kinos werden sollte.

Billy Wilder, der am 22. Juni 100 Jahre alt geworden wäre, drehte himmlische Komödien wie "Manche mögen's heiß" mit der wunderbaren Marilyn Monroe, aber auch bitterböse Klassiker des film noir wie "Sunset Boulevard", den besten Hollywood-Film über Hollywood. Seine frühen Jahre als Zeitungsschreiber schlugen sich in gleich zwei Filmen nieder: "Der Teufelsreporter" und das Spätwerk "Extrablatt". Ersterer ist am 23. und am 29. Juni im Rahmen der noch bis 9. Juli laufenden Billy Wilder-Retrospektive des Österreichischen Filmarchivs im Wiener Metro Kino zu sehen, die das komplette Ruvre zeigt, inklusive einer Reihe von Filmen, für die Wilder - vor seinem Wechsel auf den Regiesessel - das Drehbuch verfasst hat.

Abrechnung mit dem Metier

"Der Teufelsreporter" ("Ace in the hole") ist eine bitterböse Abrechnung mit dem Sensationsjournalismus. Ein skrupelloser, in der Provinz gestrandeter Journalist (Kirk Douglas) verzögert die Rettungsaktion für einen lebendig Verschütteten, um das Unglück länger zur Beförderung seiner eigenen Karriere ausschlachten zu können. Noch mehr als die Sensationspresse klagt der Film das sensationslüsterne Publikum an, denn des Reporters reißerische Berichterstattung zieht Massen von Schaulustigen an, die sich auf einem eigens errichteten Jahrmarkt am Leid des Verschütteten ergötzen. In Venedig wurde der Streifen 1951 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, in den USA jedoch von der Kritik vernichtet: "Der Film beruht auf der Prämisse, dass Amerikaner ein Haufen Trottel sind, die man leicht an der Nase herumführt. Sie sind Opfer purer Massenhysterie und ihre Gefühle lassen sich durch billige Ersatzbefriedigungen abspeisen", empörte sich eine Zeitung.

"Mord, Sport, Kreuzwort"

Billy Wilder konnte für dieses filmische Meisterwerk aus der eigenen Erfahrung schöpfen. Von 1925 an war er Redakteur des Boulevardblatts Die Stunde, das in den Augen Karl Kraus' "die Umsetzung des Lausbubenwitzes in öffentliche Meinung" betrieb; "Mord, Sport, Kreuzwort" - so beschrieb Kraus den Inhalt der Zeitung. Das junge Talent Wilder lieferte Reportagen über Berühmtheiten wie Asta Nielsen oder die Tiller-Girls ab, der Großteil seiner Arbeit jedoch war "durch und durch peinlich" (Wilder), wie zum Beispiel den völlig aufgelösten Eltern eines soeben verhafteten Mörders ein Foto abzuschwatzen.

Die Stunde gehörte zum Zeitungsimperium des Glücksritters und Inflationsgewinnlers Imre Békessy, gegen dessen Machenschaften Karl Kraus über Jahre in der Fackel anschrieb. Der Medienkonzern garantierte Anzeigenkunden positive Berichterstattung und akquirierte Inserate von Unternehmen, indem diese mit negativer Berichterstattung bedroht oder so lange medial attackiert wurden, bis sie Anzeigen schalteten. In dieser Weise erpresst wurden auch Kaffeehäuser, was der Volksmund "Békessys Kaffeehaussteuer" nannte. Erst als der entlassene Stunde-Redakteur Ernst Spitz an die Öffentlichkeit ging, kam der Stein ins Rollen. Spitz, der in Wilder den Schuldigen für seine Entlassung sah, gab bei den Behörden zu Protokoll, der 20-Jährige habe auch bei der "Kaffehaussteuer" seine Finger im Spiel gehabt. Zwei Tage bevor der erste Stunde-Mitarbeiter verhaftet wurde, verließ Békessy im Juni 1926 Österreich. Zwei Wochen darauf nahm Billy Wilder den Zug nach Berlin.

Eintänzer & Kischs Schüler

In Deutschlands Hauptstadt angekommen, wird der "rasende Reporter" Egon Erwin Kisch Wilders Mentor und Vorbild. Für eine Berliner Zeitung schreibt Wilder auch seine größte Story: Unter dem Titel "Herr Ober, bitte einen Tänzer" schildert er das Leben eines so genannten Eintänzers. Er selbst hatte aus Geldnot in einem großen Berliner Hotel gegen Bezahlung mit den ohne männliche Begleitung gekommenen Damen das Tanzbein geschwungen. Bald danach war Schluss mit dem Journalismus: 1929 wechselte er zum Film, 1933 musste er emigrieren, landete schließlich in Hollywood, wo er im Jahr 2002 starb.

www.filmarchiv.at

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