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In Berlin wurde "Cäsar muss sterben“ 2012 mit dem Goldenen Bären gefeiert. Nun kommt das exemplarische Meisterwerk der Brüder Taviani endlich auch hierzulande ins Kino. Das Gespräch führte Alexandra Zawia

Seit 50 Jahren arbeiten Vittorio (83) und Paolo Taviani (81) als Regisseure und Autoren ihrer Filme zusammen. Bei der Berlinale 2012 wurde ihr neuestes Opus "Cäsar muss sterben“, das nun ins Kino kommt, mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.

Die Furche: Sie haben schon lange keinen Film mehr gemacht - was hat Sie zu "Cäsar muss sterben“ gebracht?

Paolo Taviani: Unsere Lust auf ein neues Abenteuer. Wir arbeiten, um etwas Neues, Geheimnisvolles zu entdecken. Dieser Film war überhaupt speziell, denn der Mensch als Wesen ist sehr komplex, fddtzmtumtu,ktum,erst recht unter Bedingungen wie hier, in einem Gefängnis. Eine Freundin hatte uns von der Theatergruppe am Rebibbia-Gefängnis erzählt und uns gebeten, vorbeizukommen. Es war unglaublich, zu erleben, wie diese Männer agierten. So etwas hatten wir noch nicht gesehen. Nun gibt es ja schon genug Filme über Gefängnisinsassen, aber von dieser Vorstellung waren wir überwältigt. Diese Insassen, allesamt Mafiabosse oder sonstige Schwerverbrecher, leben in diesem Sicherheitstrakt ein Nicht-Leben; doch sie inszenierten auf einer Bühne das Leben mit solcher Inbrunst, obwohl sie das meiste davon niemals aus eigener Erfahrung kennen konnten. Uns war schnell klar, dass wir also diesen Film machen wollten - und welches Stück bot sich dafür besser an als "Julius Cäsar“, diese Tragödie um Verrat, Mord, Intrigen, Macht und Loyalität.

Vittorio Taviani: Wir dachten von Anfang an diese italienische Tragödie. Ein Drama über die großartigen und schmerzhaften Beziehungen zwischen Menschen. Aber das Stück barg auch Gefahren: Als wir zum Beispiel die Szene der Ermordung Cäsars drehten, baten wir die Darsteller, den Killerinstinkt in sich wachzurufen. Eine Sekunde später realisierten wir, was wir da eben gesagt hatten. Aber es war in Ordnung, denn sie selbst hatten begriffen, dass es nötig war, sich der Wirklichkeit zu stellen, und nicht etwa so zu tun, als wären sie unschuldig.

Die Furche: Warum drehten Sie den Großteil des Films in Schwarz-weiß?

Paolo Taviani: Weil Farbe realistisch ist und Schwarzweiß nicht. Wir wollten mit einem "Gefängnisfilm“ auf keinen Fall in den TV-Naturalismus verfallen; in Schwarz-weiß zu drehen, half uns, dem zu entkommen, und gab uns mehr Freiheit, etwa Cäsar nicht vor dem Hintergrund des alten Roms sterben zu lassen, sondern in einer kahlen Zelle.

Die Furche: Ergab sich deswegen die Mischung aus Dokumentation und Fiktion als geeignete Darstellungsform für den Film?

Vittorio Taviani: Wir unterscheiden gar nicht so gerne zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm. Wichtig ist einfach, dass der Film eine eigene Identität hat und auf seine eigene Art und Weise atmet. Dieser Film wurde Schritt für Schritt ein Gemeinschaftsprojekt; während der Dreharbeiten erzählten uns die Männer von bestimmten Vorfällen in ihrem echten Leben. Wir baten sie dann, diese aufzuschreiben und uns für den Film zu überlassen. Das haben wir dann in den Film eingebaut, manches hier ist also "scripted reality“. Aber aus dem echten Leben. Vorranging wollten wir einen Film machen, der sowohl die Schönheit als auch die Tragik ausdrückt, die diese Insassen durch die Berührung mit der Kunst erfahren.

Die Furche: Welchen Stellenwert hat Kunst, gerade für Menschen in Extremsituationen?

Paolo Taviani: Der Satz, den der Darsteller von Cassius sagt, wenn er in seine Zelle zurückmuss, drückt alles aus: "Erst seit ich weiß, was Kunst ist, wurde diese Zelle wirklich zum Gefängnis.“ Wir haben diesen Satz nicht für ihn geschrieben. Kunst ist gespeist aus freiem Willen oder dem Kampf dafür. Sie hilft, etwas besser zu verstehen. Diesen Männern hat die Berührung mit Kunst aber vor allem geholfen, zu verstehen, was sie verloren haben. Das ist vielleicht die härteste Strafe. Es ist sehr grausam, die Schönheiten und den Reichtum der Kunst zu entdecken, aber zur selben Zeit erfahren zu müssen, dass man nie komplett Teil davon sein kann. Dieses Bewusstsein führte bei einigen der Mitwirkenden zu einer Selbsterkenntnis, die wohl schmerzhaft war.

Die Furche: Konnten Sie sich denn im Gefängnis überall frei bewegen?

Vittorio Taviani: Wir konnten die Insassen überallhin begleiten, aber achteten darauf, dass sie auch ein wenig Rückzugsmöglichkeit hatten. Über einen Zeitraum von vier Wochen begleiteten wir sie während ihrer extrem langen Tage und Nächte in ihren winzigen Fünf-Personen-Zellen, auf den Korridoren, im Hof, in dem sie jeden Tag eine begrenzte Zeit an der frischen Luft verbringen, oder beim Warten auf Besuch von draußen. Ein Filmset ist immer auch ein Ort, an dem Freundschaften entstehen, Komplikationen auftreten und man etwas über sich selbst lernt. Ein Wärter riet uns: "Bindet euch emotional nicht zu sehr an die Insassen.“ Auch er empfinde für manche Sympathie oder Mitleid, erinnere sich dann aber wieder daran, dass die Opfer dieser Männer viel mehr leiden. Oft beschlich uns selbst ein paradoxes Schuldgefühl diesen Männern gegenüber, weil wir diejenigen waren, die diesen Ort später verlassen konnten.

Die Furche: Waren Sie in 50 Jahren Zusammenarbeit einander nie überdrüssig?

Paolo Taviani: Wenn wir einen Film zusammen machen, sehen wir uns jeden Morgen am Set. Wenn wir nicht arbeiten, sehen wir einander auch jeden Morgen. Das macht also keinen Unterschied. Wir unterhalten uns darüber, was wir in den Nachrichten gehört oder in den Zeitungen gelesen haben, und wenn das Wetter schön ist, gehen wir im Park spazieren und reden und reden. Aber am Nachmittag gehen wir völlig getrennte Wege. Wir rufen einander nicht einmal an. Das gleiche gilt für die Ferien im Juli und August. Während dieser Zeit hören wir nichts voneinander. Wir brauchen diesen Abstand natürlich auch. Aber Kino und Filmemachen ist immer ein großes Abenteuer und ich kann mir nichts Besseres vorstellen, als das mit jemandem teilen zu können, dem man nahesteht. Es gibt zu viele Geschichten, die wir gerne auf der Leinwand sähen, das treibt uns an, und es ist immer großartig, etwas zu entdecken, mit dem man nicht gerechnet hatte. Schließlich wurde das Kino auch von zwei Brüdern erfunden, den Lumières, also haben wir uns angeschlossen - genauso wie etwa die Dardennes oder die Coens.

Cäsar muss sterben (Cesare deve morire)

I 2011. Regie: Paolo und Vittorio Taviani.

Mit Cosimo Rega, Salvatore Striano, Giovanni Arcuri, Antonio Frasca. Polyfilm, 76 Min.

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