Die Nazis wohnen hinterm Mond

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Zur Berlinale 2012: Ehrbar, dass die Brüder Taviani für ein Alterswerk prämiert wurden. Ihr Goldener Bär ist aber ein falsches Signal.

Es ist schon seltsam. Da hatte sich die Berlinale nach einem desaströsen Jahrgang 2011 wieder erfangen, hat neue, neuartige und brisante Themen für ihren Wettbewerb zusammengestellt, realisiert von überwiegend jungen, talentierten Filmemachern, deren Zugänge durchwegs innovativ waren - und dann gewinnt erst recht ein Film, der von zwei großen alten Herren des europäischen Autorenkinos gemacht wurde: Paolo (80) und Vittorio (82) Taviani bekamen den Goldenen Bären für ihr Gefängnistheater "Cesare deve morire“ ("Cäsar muss sterben“).

Alte Herren des Autorenkinos

Bei aller Wertschätzung für die Tavianis: Den Hauptpreis beim wieder erstarkten, verjüngten A-Festival Berlinale in ihre Hände zu geben, ist ein falsches Signal.

Ihr bedeutendstes Werk, die Emanzipationsgeschichte "Padre Padrone“, brachte den Tavianis 1977 eine Goldene Palme. Die letzten zwei Jahrzehnte waren die italienischen Brüder, die stets gemeinsam Regie führen, von der Bildfläche des Weltkinos nahezu verschwunden. Jetzt, im hohen Alter, haben sie versucht, sich neu zu erfinden; in diesem Sinne also doch eine Auszeichnung für eine geglückte Verjüngung?

"Cesare deve morire“ ist ein kleines, aber interessantes Filmprojekt: Gedreht im Hochsicherheitstrakt der Strafanstalt Rebibbia in Rom, versammelt es nur Häftlinge vor der Kamera, meist Schwerverbrecher, die lebenslang hier einsitzen. Sechs Monate lang folgten die Tavianis den Vorbereitungen für eine Gefängnisinszenierung von Shakespeares "Julius Cäsar“, die Geschichte einer Polit-Intrige, die zur Ermordung Cäsars führt. Die Proben filmten die Tavianis in Schwarz-Weiß, das Ganze wirkt wie eine Hommage an den italienischen Neorealismo. Die Akteure sind authentisch, nicht nur in ihrem Spiel. So wird Cassius, der Mordverschwörer, tatsächlich von einem zu Lebenslang verurteilten Mörder gespielt. Der Film ist keine Gefängnisdoku, aber auch kein Spielfilm, er liegt irgendwo zwischen großem Theater und Therapiesitzung: Erst durch die Proben können viele mitwirkende Häftlinge erstmals wirklich über ihr eigenes Leben und ihre Taten reflektieren. "Cesare deve morire“ ist kein schlechter Versuch, aber es ist ein Alterswerk, das zunächst zwar vor Energie strotzt, bald aber matt und steril wirkt.

Frische Zugänge wenig gewürdigt

All die anderen, frischeren Zugänge mussten sich mit den übrigen Preisen begnügen: Für die Schweizerin Ursula Meier, die in "L’enfant d’en haut“ mit großer dramatischer Dichte von einem Buben erzählt, der in einem Schigebiet Touristen bestiehlt, gab es lediglich eine lobende Erwähnung. Für Bence Fliegaufs "Just the Wind“, der von einer ungeheuerlichen Mordserie gegen Roma in Ungarn erzählt, gab es den großen Preis der Jury. Dabei war "Just the Wind“ der wohl ästhetisch wie erzählerisch konsequenteste Film des Bewerbs, und thematisch einnehmend obendrein. Der griechische "Meteora“ über die Liebe zwischen einem Mönch und einer Nonne, aber auch die geglückte Beziehungsstudie "À moi seule“ gingen überhaupt leer aus.

Und auch der deutsche Film, hier dreifach im Wettbewerb vertreten, musste sich mit dem "Trostpreis“ für die beste Regie an Christian Petzold begnügen. Sein Film "Barbara“ mit Nina Hoss als DDR-Ärztin mit Fluchtgedanken war der vielleicht stärkste Film dieser Berlinale, weil er in einer unglaublichen Feinfühligkeit den Alltag im Überwachungsstaat DDR aufschlüsselt. Für den zweiten meisterlichen Streich aus Deutschland, Matthias Glasners "Gnade“ (Jürgen Vogel, Birgit Minichmayr) gab es gar keine Preise.

Wenig Taugliches aus Österreich

Stattdessen überreichte die Jury dem konventionellen dänischen Kostümfilm "A Royal Affair“ gleich zwei Preise, für das Drehbuch und den Hauptdarsteller (Mikkel Boe Folsgaard). Aus Österreich waren diesmal Umut Dags "Kuma“, Anja Salomonowitz’ "Spanien“ oder Ruth Maders "What Is Love“ im Programm, jedoch kaum wettbewerbstauglich. Aber ihre interessanten Arbeiten passten doch zu dieser Berlinale.

Und dann war da noch die Nazi-Sci-Fi-Parodie "Iron Sky“, die in der Sektion Panorama begeisterte: Der Finne Timo Vuorensolas hat sie mit Kleinspenden übers Internet finanziert und zeigt Udo Kier als Führer der nach 1945 auf den Mond geflohenen Nazis. Auch das ein frisches Filmkonzept: "Iron Sky“ hatte schon über 100.000 Fans auf Facebook, bevor jemand den Film überhaupt gesehen hatte.

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