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Die böse Mär vom reichen Mann

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Das West-Berliner Schillertheater wollte die Zeit zurückdrehen. 1961 hatte man aus Protest gegen den Mauerbau das Stück des 1956 verstorbenen Bert Brecht „Herr Pun-tila und sein Knecht Matti“ noch vor der Premiere vom Spielplan abgesetzt. Jetzt brachte man es in der Neuinszenierung heraus. Aber man vergaß das Gegengewicht: vor vier Jahren war zugleich Barlachs „Blauer Boll“ zu sehen. Auch dort ein Gutsbesitzer, auch dort ein Leben ohne Rücksicht und Verantwortung, Freß- und Saufszenen als Daseinsinhalt. Barlachs Mecklem-burg und Brechts Finnland zeigen das gleiche Bild. Brecht aber bleibt statisch: der betrunkene Puntila Wechselt zwar die Fronten, doch hat weder er noch sein Autor die Möglichkeit, sie aufzuweichen oder zu durchbrechen. Bei Barlach gelingt es: sein Boll findet aus der Haft seiner Klasse heraus in die Offenheit einer persönlichen Begegnung, die zur Verantwortung führt gegenüber dem Mitmenschen und gegenüber Gott.

Der Zusammenstoß mit dieser Weltsicht (zumal in der großartigen Verkörperung durch Ernst Schröder) gab Brechts Stück Gewicht — aus sich allein fand es die Neuinszenierung in der liebevollen, aber zu weichen Regie Boleslaw Barlogs nicht. So gut auch das Gleichgewicht zwischen Matti und Puntila gewahrt blieb, so sympathisch Eva Katharina

Schulz war, als sie ihre Prüfung als Chauffeursfrau bestehen wollte: mehr als freundliches „Volks“-Theater wurde es im Schillertheater nicht. Geistiger Anspruch kam nicht auf.

Besser ist eine andere Brecht-Inszenierung „Mann ist Mann“ in der Schaubühne. Sie bringt der mutigen jungen Truppe endlich die verdienten Zuschauermengen. Trotzdem wirkt auch dieser frühe Brecht nicht gerade aufregend. Man hat auf jede Aktualisierung verzichtet (deutsche Söldner im Kongo; amerikanische Soldaten in Vietnam hätten sich angeboten), man spielt nur die Parabel von der Austauschbarkeit des Menschen, überdies recht vorsichtig und der Brechtschen Diktion nicht immer gewachsen. So muß man sich, ab und an, leicht langweilen. Zumindest das war im Forum-Theater nicht der Fall. Dort hatte der Wiener Gast Conny Hannes Meyer mit der „Kleinbürgerhoch-zett“ den professionellen Brecht-Reigen eröffnet (vorher gab es nur Amateuraufführungen: Ausschnitte aus der „Mutter“ durch die Berliner Lehrerbühne, „Trommeln in der Nacht“ durch Studenten). Zwar reagierte die Berliner Kritik ungewöhnlich scharf, fast gereizt: ich hatte meine Freude an der pantomimisch zerdehnten, karikierend überspitzten, artistische Perfektion erstrebenden Aufführung.

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