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Aggression und Kriminalität

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Die Bedeutung der Aggression für das. Auftreten von Kriminalität scheint mir ziemlich überzogen eingeschätzt zu werden. Aggression soll einfach alles erklären: die humangesellschaftlichen schlechthin sowie die individuell dispositiven Bedingungen für Kriminalität. Trotzdem kann sie das Spezifikum der Kriminalität nicht erfassen. Kriminalität ist weniger universell als Aggressivität; alle Eigenschaften von Kriminellen — auch Aggressivität —

werden auch von anderen Personen besessen.

Tatsächlich entstammt die Bewertung einer Handlung und ihres Subjekts als kriminell aber einer Beziehung zwischen ihm und seiner Umwelt, ist sie ein Interaktions- und Urteilsergebnis. Es ist der Funktion nach dabei völlig austauschbar, ob eine Klassifikation als aggressiv, verwahrlost, dissozial oder psychopathisch die soziale Wertung „kriminell“ untermauern und legitimieren soll und die ganze Problematik der gesellschaftlichen Relation zwischen Rechtschaffenen und Außenseitern, zwischen Angesehenen und Verachteten verdinglicht und allein dem so Bezeichneten anlastet. An ihm liegt es, an seiner Aggressivität, Verwahrlosung, Dissozialität, Psychopathie etc., daß ihn die Strafe trifft.

Wie aber die kritische Lektüre der Aggressionsforschung in der Kriminologie doch gezeigt hat, ist das Problem, daß Aggressivität nichts Kriminalitätsspezifisches ist und daß es um die Einstufung verschiedenster Aggressionsäußerungen auf einer sozialen Wertskala von überlebenswichtig, produktiv, bis zerstörerisch, schädlich, kriminell geht.

Trotzdem wird diesem Urteilen über die Erwünschtheit und Un- erwünschtheit, über die Legitimität oder Illegitimität von Gewalt in der Aggressionsforschung nur eine ziemlich nebensächliche, akzidentelle Bedeutung eingeräumt. Nach Aggression und Kriminalität wird „wertfrei" naturwissenschaftlich gebucht, nicht aber wird nach ihnen als gesellschaftlich herausgebildeten und veränderlichen Werturteilen geforscht

und diese selbst in Beziehung zu sozialen Auseinandersetzungen und Kämpfen gesetzt, kurz relativiert

Fritz Sack schreibt am Ende eines Aufsatzes „Zur Definition von Gewalt“: „Es geht nicht mehr darum, die gesellschaftlichen Ursachen von Gewalt schlechthin zu bestimmen (Anm.: dasselbe gilt für die Ursachen von Aggression), sondern die Frage muß darauf zugeschnitten werden, (1) welchen Formen der Gewaltausübung und der Gewaltanwendung einhergehen mit welchen sozialen Situationen, Lebenslagen und Strukturen, und (2) in welcher Weise und aus welchen Gründen die verschiedenen Formen der Gewaltanwendung auf einer Skala plaziert sind, die von erlaubt bis hin zu kriminalisiert reicht.“

Heinz Steinert beim Weiterdenken dieser Thesen: „Entlang der von Sack gezogenen Linien weitergedacht, würde man z.B. zu einer Auffassung zumindest eines guten Teils des Strafrechts als eines Regulierungsversuchs der zugelassenen und nicht zugelassenen Gewaltformen kommen:

Nicht zugelassen sind die Gewalt- und Machtmittel der rohen und physischen Überlegenheit (darauf hat der Staat ein Monopol) oder der offen sichtbaren Nötigung und Erpressung, zugelassen hingegen sind die Ausnützung ökonomischer Machtmittel, die Ausnützung überlegener sozialer Kompetenz, die Ausnützung von InformationsvorSprüngen (abgesichert in den Institutionen des Staats-, Amts- und Betriebsgeheimnisses und des Persönlichkeitsschutzes), die Ausnützung fremder Notlagen (im Rahmen der Vertragsfreiheit). Einiges an Kriminalität wäre dann zu verstehen als der Versuch der Machtlosen, die einzigen ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel doch einzusetzen.“

Als Problem oder problematisch werden einseitig sehr wenige dieser Gewaltsäußerungen wahrgenommen. Es ist daher die Diskussion, welche Formen der Gewalt in der Gesellschaft existieren, ernstzunehmen und verwerflich sind, von höchstem Interesse — und zwar als Teil eines Bewußt- seinsbildungs- und (somit auch) Herrschaftsprozesses.

Der Autor arbeitet am Ludwig-Boltz- mann-Institut für Kriminalsoziologie in Wien.

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