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„Jüngstes Gericht” über die Dinge

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In unserer Zeit ergeht ein fürchterliches „Jüngstes Gericht” über die Dinge. Was kaputt ist, wird weggeschmissen. Ja, die Produktion selbst ist längst vom „Geist” der Morbidität geprägt, produziert sie doch bewußt zum Wegwerfen: vom Wegwerffeuerzeug bis zu den Wegwerfmöbeln - alles ist zukünftiger Müll. Und ohne Müllabfuhr kein Leben!

Kaputte Sachen reparieren, nein - viel zu teuer. Alles ist ersetzbar lehrt der - demnächst für die Schulbuchaktion vorgesehene - Katechismus der „fröhlichen Wegwerfgesellschaft” .

Das ist Erfindergeist: von der

Wegwerfwindel bis zum „Wegwerfausländer” — wir ham's ja!

Umso erfreulicher ist es, wenn Konfirmanden, also 14- bis 15jähri-ge, den Ungeist der Unmenschlichkeit und Nekrophilie bekämpfen, indem sie satirische Lieder schreiben: „Wir schmeißen alles, alles, alles in den Kübel: weil das so „in” ist, wenn etwas hin ist. Das sieht selbst der Peti us ein. Und denkt sich: Ja - das ist fein. Und schmeißt uns alle, alle alle in die Hölle rein.”

Oder eher besinnlich: „Ein Männlein liegt am Boden ganz still und stumm. Es wurde g'rad zertreten vom Publikum. Sag, wer mag das Männlein sein, das da biß ins

Gras hinein, mit dem ganz zerrissenen Mäntelein?”

Diese Lieder klingen nur lustig. Eigentlich sind sie ja gesungene Sündenbekenntnisse, voll von pro-

Dchem Geist, enn der Gott, an den diese jungen Christen und Christinnen - natürlich wollen sie nicht so genannt werden - glauben, ist kein Wegschmeißer. Er schmeißt weder die Dinge weg, geschweige denn die Menschen.

Was diese modernen Prophetenschüler bewegt, hat der Prophet Je-saja klassisch so formuliert: „Sie werden das geknickte Rohr nicht wegwerfen sondern reparieren. Sie

werden den noch glimmenden Docht nicht wegwerfen, sondern ihn putzen und ihm frisches Öl geben/'

Das Heil, die Heilung beginnt also bei den Dingen. Konkret - wo bewußte Christen leben, gibt es weniger Müll. Die Müllfrage ist also im Grunde genommen eine Glaubensfrage, so materiell ist der christliche Glaube.

Hier entwickelt sich ein neuer Frömmigkeitsstil: Christen sind Bastler und Reparierer. Wegschmeißen riecht nach Sünde. Oder sprichwörtlich: Zeig mir deinen Mistkübel, und ich sage dir, was mit deinem Glauben los ist.

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