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Der ermordete Philosoph

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Als Moritz Schlick, Professor für Philosophie an der Wiener Universität, vor fünfzig Jahren erschossen wurde, als er eben die sogenannte Philosophenstiege hinaufging, um die letzte Vorlesung des Semesters abzuhalten, verlor der „Wiener Kreis“ seinen Initiator und sein Oberhaupt. Sein Mörder war ein ehemaliger Schüler, der weltanschaulichphilosophische Differenzen ebenso als Motiv seiner Tat anführte wie persönliche Gegnerschaft. Er wurde, obwohl schon früher in psychiatrischer Anstaltsbehandlung, zunächst zu zehn Jahren Ge-

f ängnis verurteilt und später vom nationalsozialistischen Regime pardoniert.

Die radikale, antimetaphysische und auf strenge Wissenschaftlichkeit ausgerichtete Grundeinstellung des „Wiener Kreises“ hatte schon früh lebhafte Kontroversen hervorgerufen. Die begeisterte Zustimmung und ebenso heftige Ablehnung ist auch heute noch nicht immer sachlichen Ursprungs, zumal die mit nahezu missionarischem Eifer vertretene „wissenschaftliche Weltanschauung“, wie es in der

1929 von Otto Neurath, Rudolf Carnap und Hans Hahn herausgegebenen Programmschrift hieß, auch durchaus dogmatische Züge aufwies.

Dabei war der aus Norddeutschland stammende, 1882 geborene Moritz Schlick alles andere als ein Dogmatiker. In seiner Lebensund Denkeinstellung eher als bürgerlich-liberal zu bezeichnen, hatte Schlick in Berlin bei Max Planck zunächst Physik studiert und war dann 1922 als Nachfolger von Ernst Mach und Ludwig Boltzmann nach Wien berufen worden. Hier rief er jene Diskussionsrunde ins Leben, die als „Wiener Kreis“ berühmt wurde, sich selbst als „Logischen Positivismus“ oder „konsequenten Empirismus“ bezeichnete und der Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschaftler angehörten, von Kurt Gödel bis zur Karl Popper, der sich allerdings gerne als eine Art „offizielle Opposition“ gefühlt haben soll.

So sehr Schlick die auf strenge

Wissenschaftlichkeit, Logik, Empirie und Sprachkritik ausgerichteten Thesen des „Wiener Kreises“ auch teilte, so fern lag ihm jene politische und weltanschauliche Radikalismus, der viele der Mitglieder auszeichnete und der auch jene heftigen Reaktionen auslöste, die den „Wiener Kreis“ bereits im Ständestaat in Schwierigkeiten brachte. Die scharfe Frontstellung gegenüber der traditionellen Metaphysik wurde von Schlick nur bedingt geteilt. Hatte er in seiner Erkenntnistheorie einen realistisch empiristischen Standpunkt vertreten, konzentrierte er sich zunehmend, nicht zuletzt auch unter dem Einfluß Wittgensteins, auf Probleme der Logik und Sprachkritik, der Klärung des Sinnes von Aussagen und der Begriffsanalysen.

Schlick war immer für eine Trennung von Erkennen und Erleben eingetreten. Gerade letzterem aber galt seine heimliche Vorliebe. Er hat eine Ethik entworfen, die auf jede absolute Begründung

verzichtet und in der in gut utui-taristischer Tradition Lust und Schmerz eine ebenso große Rolle spielen wie das schöpferische freie Spiel. Der sittlich freie Mensch sei jener, der ohne jedweden äußeren Zwang in Einklang mit seinen Wünschen handelte.

Die philosophischen Theorien des „Wiener Kreises“ hatten inzwischen bekanntlich vor allem im anglo-amerikanischen Raum große Bedeutung gewonnen und sind, wenn auch inzwischen stark modifiziert und gemildert, von dort wieder in Mitteleuropa und auch in Österreich zu verspäteten Ehren gekommen. Wenn das einseitig szientistische Denken heute auch vor einer Götterdämmerung zu stehen scheint, gilt es doch jene Grundhaltung ernst zu nehmen, die im Verzicht auf absolute Begründungen und letzte Wahrheiten an einer ständigen Vervollkommnung unserer Erkenntnis arbeitet. Schlick hat vor Einseitigkeit immer wieder gewarnt

Der Autor ist Professor für Philosophie an der Universität Wien.

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