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„Der Kreisky tut was“

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Tags zuvor meinte Dr. Kreisky noch in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“: „Das Realeinkommen der Rentner ist gestiegen“ und sah dort sogar eine Steigerung des Lebensstandards. Und als er am vergangenen Freitag bei der Regierungsklausur im burgenländischen Draßburg weilte, ließ er vor Journalisten so nebenbei fallen, daß es zu einer Teuerungsabgeltung für Bezieher kleinster Einkommen kommen werde. Die Regierung könne es nicht hinnehmen, wenn durch den auf uns zukommenden höheren Milch- und Brotpreis diese Einkommen noch weiter sinken.

Eine typische Kreisky-Idee. Er trifft damit, wie in den meisten Fällen, zwei Fliegen auf einen Schlag: Einerseits dient ihm eine solche Teuerungsabgeltung als schlagender Beweis für seinen Kampf gegen die Armut, anderseits wäscht er sich geschickt von der Teuerungsschuld frei. Denn unter diesen Umständen werden jene, die mit Recht über die Teuerung klagen, ihre Notsituation einzig und allein dem von der Landwirtschaft geforderten höheren

Milch- und Brotpreis zuschreiben. „Der Kreisky tut ja was für uns“, soll die Devise sein. Und es ist zu erwarten, daß Kreisky die Teuerungsabgeltung geschickt zu dem Zeit-

SPÖ-Rentner (bei einer Wahlversammlung 1971): Ankläger enthaftet

Photo: Waschel punkt anlaufen läßt, zu dem durch die Mehrwertsteuer noch höhere Preise kommen werden.

Damit ist aber für Kreisky auch noch ein weiterer Kreis geschlossen: Denn nicht nur die Rentner und Pensionisten bekommen 9 Prozent drauf, die ärmeren Rentner dann sogar noch mehr, sondern auch die Familien. Denn das im Juli zwischen den Parteien ausgehandelte Preisdämpfungspaket bringt eine als Teuerungsabgeltung gedachte Erhöhung der Kinderbeihilfen um 20 Schilling — ab dem dritten Kind um 30 — und eine Verdoppelung der Beihilfen für geschädigte Kinder.

Damit ist der Opposition zumindest etwas der Wind aus den Segeln genommen. Denn von dorther wurde stereotyp die Anklage erhoben, daß die Bundesregierung durch die Teuerung vor allem Rentner und Familien schädige.

Kreisky dürfte nicht zuletzt aber auch von der parteieigenen Rentnerorganisation unter Druck gesetzt worden sein. Nicht zuletzt mußten sich die Regierungsmitglieder bei ihren Wahlreisen im Burgenland den Vorwurf gefallen lassen, sich selbst zwar die Bezüge erhöht, aber für die „Armen“ nichts übrig zu haben. Gleichsam also als Versöhnung mit den Burgenländern wurde aus der Not eine Tugend gemacht.

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