6928040-1982_18_13.jpg
Digital In Arbeit

Eine fossile Revolution

Werbung
Werbung
Werbung

Mit Richard Leakeys Satz „Heute bin ich verdutzt darüber, daß ich vor nur einem Jahr so etwas gesagt habe", vollzieht sich eine Revolution in der Paläontologie. Was Leakey und seine Kollegen immer gesagt haben: Unsere Ahnen haben sich vor 15 bis 20 Millionen Jahren am Evolutionsbaum zu einem eigenen Ast ausgewachsen. Was Leakey kürzlich vor der Royal Institution in London feststellte: Der Mensch ist wahrscheinlich keine fünf Millionen Jahre alt.

Dieses Bekenntnis aus dem Leakey-Forscher-Clan zum Uberdenken der fossilen Funde löst mehrere Ungereimtheiten in der Wissenschaft vom Ursprung des Menschen:

• Bereits 1967errechneten Biologen an der Universität von Kalifornien, daß sich Mensch, Schimpanse und Gorilla vor nur viereinhalb Millionen Jahren voneinander getrennt haben. Die „Molekulare Uhr", die sie zur Hilfe nahmen, beruht auf dem immunologischen oder auch genetischen Verwandtschaftsgrad zwischen den heute lebenden Primaten.

Die bereits auf Arbeiten Anfang des Jahrhunderts zurückgehende „Uhr" hat mit den Verfeinerungen des molekularbiologischen Werkzeugs zu einem molekularen Artenbaum geführt. Er wurde auf Grund der bisher üblichen Lesart der fossilen Funde von den Paläontologen abgelehnt. Jetzt ruft Leakey zu einer Neubewertung dieser Funde auf und bezeichnet jenes Wesen, dessen 3,75 Millionen Jahre alte Fußspuren seine Mutter, Mary, in Laetoli, Kenya, ausgegraben hat, als den frühesten Beleg für das Auftauchen des Menschen.Der prominente Paläoanthropologe Don Johanson, dessen „Lucy" als „ Missing link" weltweit Schlagzeilen gemacht hat, impliziert in seinem Buch gleichen Namens, daß sie und die anderen Funde aus Hadar, Äthiopien, auch auf eine, sehr späte Teilung Affe-Mensch deuten: Obwohl die Funde nur 3,75 Millionen Jahre alt sind, bezeichnet er sie als gemeinsame Vorfahren von Affe und Mensch.

# Wenn sich bestätigt, daß die fossilen Funde nach der „Molekularen Uhr" geordnet werden müssen, schließt sich ein eigentümliches Loch in den fossilen Aufzeichnungen. Man fand zwar Vorgänger des Menschen, aber kaum welche der Affen. Jetzt sehen die Paläontologen Vorhandenes mit anderen Augen, und die Ahnenreihen aller Primaten füllen sich. Der jüngste Fund stammt aus Pakistan, wo David Pilbeam von der Harvard Universität den acht Millionen Jahre zählenden Kopf eines Vaters des Orang Utans entdeckt hat

Mit dieser Neuorientierung (einige Unorthodoxe drehen den Spieß bereits um und spekulieren über die Abstammung des Affen vom Menschen) geht ein Chaos in der Nomenklatur einher. Leakey spricht davon, daß schon jetzt die verwirrenden Bezeichnungen der Funde die Fachleute ,4m Kreis rennen" lassen.

Er will die Teilung in Affen und Menschen nicht mehr gelten lassen und schlägt folgende Basis für die Neuklassifizierung vor: „Homo" soll nicht mehr für den Werkzeuge Verwendenden, sondern für alle zweibeinigen Affen gelten. Jeder Affe, der zudem aufrecht geht, wird ein „Hominide". Die Bezeichnung „sapiens" soll den Typen mit vergrößertem Gehirn vorbehalten sein. Beim Homo sapiens will Leakey fünf Entwicklungsstufen unterscheiden.

Noch eine Kostprobe aus dem Wirrwarr des Umdenkens. Der Proconsul africanus kommt heraus aus der Menschengeschichte und gibt einen guten Kandidaten für den Urahn aller Affen. Rama-pithecus, bisher als eigene Gruppe geführt, ist vermutlich nur der weibliche Vertreter des Sivapi-thecus, aus dem sich der Orang Utan entwickelt hat. Auch der Australopithecus verliert seine Position in unserer Väterreihe. Ihn hält Leakey nach seiner neuen Nomenklatur nicht einmal für einen Hominiden...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung