DER TAG,
den der Herr erschaffen,
brichf strahlend an:
der Tod /
ist besieg*.
Lebendig
erscheint der Herr
denen, die ihn lieben:
er lehrt sie die Schrift
und öffnet ihnen die Herzen,
und sie begreifen
sein Geheimnis.
Alle Wesen wenden sich freudig
dem auferstehenden Christus zu;
gereinigt vom harten Frost
spriefjen und grünen die Blumen,
die Saaten der Felder,
und die Vögel jubilieren sürj.
Heller leuchten
Sonne und Mond,
mit ihren Gräsern jauchzt die Erde.
Heute ist ein Tag der Freude.
Jesus hat den Weg zum Leben
durch die Auferstehung uns eröffnet.
Strahlen sollen
Sterne, Meer und Erde,
und im Himmel
Chöre reiner Geister jubeln:
o Herr des Alls.
Die Sequenz, die ursprünglich als rein musikalische Tonfolge den Schlußvokal a des Alleluja ausformte, wurde zur Karolingerzeit, wahrscheinlich durch den Einfluß byzantinischer Mönche, im Kloster St. Gallen gesungen. Der Gedanke, Worte und Verse diesen Melodien zu unterlegen, kam aus Frankreich; er scheint mit dem Ziel verbunden gewesen zu sein, den neu bekehrten Völkern des nördlichen und westlichen Europa die Kultmusik der Kirche einzuprägen.
Notker der Stammler, der im 9. Jahrhundert Mönch von St. Gallen war, griff den französischen Gedanken — die neue Form der textlich unterlegten Sequenz — auf und entwickelte ihn weiter; seine reimlosen, freirhythmischen, ungleichartigen Versgruppen, für die er selber die Musik schrieb, wurden von den Knaben- und Mönchschören der Klöster im Wechselgesang zum Gottesdienst vorgetragen.
Die von uns aus dem Lateinischen übersetzten und hier wiedergegebenen Zeilen >tnd einer für den Ostersonntag bestimmten, Notker zugeschriebenen Sequenz entnommen.
Auch der Gehalt der Strophen erweist die Zusammengesetztheit des frühmittelalterlichen Kulturbildes: dem neutestamentlichen Gedanken von der herzenerschließenden Kraft der Erlösungstat, durch die das tiefere Verständnis des „Wortes“ und der Schrift erst ermöglicht wird, folgt der Ausdruck eines der Antike und dem Orient fremden Naturgefühls, wie es nur unter rauherem Klima sich entwickeln konnte; doch wird abschließend dieses Erlebnis des Frühlings in die Bahnen der seit Pythagoras und Piaton die antike Weltdeutung beherrschenden Einheitsphilosophie gebracht, die im Einklang des Alls die Vollendung der Erlösung sieht.