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Kein schwacher Nestroy

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Wer glaubt an den Teufel als leibhaftige Erscheinung? Das nehmen wir hin in einem Stück, das im Mittelalter spielt, aber bei Begebnissen im vorigen Jahrhundert? Und doch glauben wir dem armen Teufel Wendelin in der Posse „Höllenangst“ von Nestroy, die derzeit im Volkstheater großen Erfolg hat, seine Angst vor den Folgen eines vermeintlichen Teufelspakts.

Es stimmt nicht, daß dies ein schwaches Stück ist, mag es auch bei der Uraufführung 1849 durchgefallen sein, mag es, einer französischen Vorlage folgend, in Unwichtigem Ansatz zur Kritik bieten, es wird zu Unrecht so selten gespielt. Allein wenn der Oberrichter in schwarz-rotem Mantel, bedingt durch Vergangenes, bei dem versoffenen Schuster Pfrim durch das Fenster in die Stube stürzt und zwar genau in dem Augenblick, in dem Pfrims Sohn, der Wendelin, nach dem Teufel gerufen hat, ist das von umwerfender Komik. Und wir glauben dem Wendelin seinen Glauben, daß der Oberrichter der Teufel ist, um so mehr, als er mehrfach die Teufelsmacht auf die Probe stellt und sie sich ulkig bewährt. Drollige Folgen ergeben sich: Glückliche Wendungen sind für Wendelin Bestätigung seines angeblichen Teufelspakts, bedingen Höllenstrafen, wird er im Zug der Begebnisse aber verhaftet, glaubt er den Teufelskrallen entronnen zu sein. Ambivalenz des Schicksalshaften.

Nun gibt es gleich eingangs den „Schicksalsmonolog“ des Wendelin, den Nestroy in den Bühnentext, der Zensur zuvorkommend, nicht aufgenommen hat. Er wurde auf einer Wiener Bühne erstmals 1948 gesprochen. Da revoltiert Wendelin gegen die Zustände in der Welt, die ihn zum Hun gerleider gemacht haben, obwohl er ein rechtschaffener, guter Kerl ist, er möchte lieber nicht geboren sein. Und wenn er die Tiere sich über ihr Schicksal, gefressen zu werden, beim Himmel beschweren läßt, wird das zu einer Revolte gegen die Weltregierung, gegen den „gräulichen Absolutismus“ des Schicksals. Und wenn er für Barrikaden ist, um den Himmel zu stürmen, so geht da ebenso zweifellos die hohe politische Obrigkeit mit drein. Das wird im Stück immer wieder spürbar, hat eine dermaßen revolutionäre Durchdringungskraft, daß sich Nestroy hätte fragen können: Wer ist eigentlich aufsässig aggressiver - ich oder ich? Er übertrifft sich selbst.

In der Inszenierung von Gustav Manker spielen die Nestroy immer aufs neue gerecht werdenden Kräfte des Volkstheaters. Heinz Retters hat die aus innerer Getriebenheit kommende Angriffsschärfe des Wendelin in den monologischen Aussagen und Couplets. Die besonders wirksame Gestalt des alten Pfrim stammt von Nestroy. Bei Herbert Propst ist unaufdringlich alles da: Das Besoffene und die Lust am Suff, die Scheu vor jedweder Arbeit, die Angst vor Himmelsstrafen, die Pfiffigkeit, das Auftrumpfen höheren Herren gegenüber. Propst bietet damit eine Meisterleistung. Ebenfalls herausragend Rudolf Strobl, der einen Portier als prunkvolle Vogelscheuche darstellt und Dolores Schmidinger als seine herzhafte Tochter. Maxi Tschunko vermeidet in ihren Bühnenbüdern sowohl süßlich Bidermeierliches wie irgendeinen Modernismus. Die behaglich liebenswürdige Musik von Michael Hebenstreit richtete Norbert Pawlicki ein.

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