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Leider ohne Jesserer

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Daß eine Neuinterpretation der „Libussa“ von Grillparzer gerade aus Deutschland kommt, wo dieses Stück laut Programmheft seit 1945, laut Festwochen-Information seit 100 Jahren nie mehr gespielt wurde, mag noch als exotischer Modernismus gelten. Daß aber ein neuer, überraschend origineller Weg gezeigt wird, Grillparzer zeitgemäß zu inszenieren, darf als Sensation gewertet werden. Die „Libussa“ in der Inszenierung von Hansgünther Heyme (Staatstheater Köln) überzeugt, regt an, fasziniert stellenweise.

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Daß eine Neuinterpretation der „Libussa“ von Grillparzer gerade aus Deutschland kommt, wo dieses Stück laut Programmheft seit 1945, laut Festwochen-Information seit 100 Jahren nie mehr gespielt wurde, mag noch als exotischer Modernismus gelten. Daß aber ein neuer, überraschend origineller Weg gezeigt wird, Grillparzer zeitgemäß zu inszenieren, darf als Sensation gewertet werden. Die „Libussa“ in der Inszenierung von Hansgünther Heyme (Staatstheater Köln) überzeugt, regt an, fasziniert stellenweise.

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Karl Kraus formulierte einmal bissig, Grillparzer sei vornehmlich „aus dem Bedürfnis Österreichs nach einem Klassiker“ entstanden. Womit er nicht ganz unrecht hatte. Die Tendenz Grillparzer als eine Art österreichischen Haus- und Hofdramatiker zu präsentieren, lag lange als Schatten über den Inszenierungen seiner Stük-ke. Grillparzer - das war und ist klassisches Bildungsgut für Lesebücher, Schulfunksendungen, Burgtheaterjubiläen. Der Dichter als Chronist des Hauses Habsburg, als vaterlandsbegeisterter Historienmaler. Auf psychologische, gar reformistisch-revolutionäre Momente im Oeuvre des Paradeösterreichers vergaß man.

Heyme hat die Libussa gehörig zusammengestrichen, die papierenen Stellen ausgemerzt, die pathetischen Monologe gekürzt, vielleicht etwas zu sorglos, zu radikal. Hat die „Libussa“ auf ein Kammerspielniveau gebracht.

Libussa - das ist die Legende von der Gründung Prags, von der Ablösung des Matriarchats durch ein industriell-produktives Patriarchat, ist der Sieg der rationalistischen Weltordnung über eine mystisch religiöse. Auf der privaten Ebene der Widerspruch zwischen bedingungsloser Liebe und Bewahrung der Autonomie. Libussa hat als Fürstin der Tschechen ein neues Recht aufgebaut, das das alte ad absurdum führte, hat neue Prinzipien der „Unordnung“ eingeführt, die alle Errungenschaften des Rationalismus (der Aufklärung) negieren, und Libussa sublimiert in ihrer Herrschaft auch ihr privates Bedürfnis nach Liebe: „Ich hab euch zu lang Vernunft versprochen, doch ihr bliebt taub, vielleicht horcht ihr dem Unsinn“, sagt sie einmal.

Doch sie muß aufgeben, resignieren, angesichts der ehrgeizigen Aufbaupläne ihres Mannes Primislaus, angesichts der Macht der Feudalherren, die reformieren wollen, und Libussa kehrt an den Platz zurück, der den Frauen zustehen soll, fügt sich, unterwirft sich der Männerherrschaft. Die Gründung Prags signalisiert einen Aufbruch, der zum Ende führt.

Heyme macht aus dem Stück eine Zeremonie, einen Ritus der Machtablöse. Streng mathematisch komponiert, mit vielen Bildern, Tableaus. Menschen gruppieren sich zu Bildern, Gebäuden, Symbolen. Sie schleppen sich dahin, mühselig, unnatürlich langsam, stolpern durch eine imaginäre Landschaft. Wie in einem Alptraum. Die Guckkastenbühne ist ein Kerker, niedrig, daß die Figuren kaum stehen können, düster, ohne Dekorationen, ein Gefängnis der Emotionen.

Heyme zeigt, wie man durch Intel-lektualität, durch szenische Präzision Sinnlichkeit vermitteln kann, daß Sinnlichkeit nicht nur überschäumendes Gefühl sein muß, daß es auch so etwas wie Verhaltenheit am Theater gibt, leise, fast verstummende Töne, die mehr sagen als Klamauk und Witz. Er beweist, daß man Klassiker nicht unbedingt durch Komik und Artistik aufweichen muß, daß man sie auch ernst, sozusagen beim Wort nehmen kann. Und man entdeckt plötzlich, daß Grillparzers als trocken und unspielbar verschriene Sprache auch schön sein kann. Heymes Theater ist mimetisches Theater, Zeichentheater.

Die Schauspieler haben das verstanden, intellektuell, von der Bewegung her, aber sie können nicht sprechen, fallen aus dem engen Regiekorsett heraus, schaffen die Anstrengung nicht ganz, werden selbst anstrengend für das Publikum, lassen Langeweile entstehen, wo sie überspielt werden könnte. Wie Peter Kaghanowitsch im Monolog des Primislaus am Ende des ersten Teils. Da erleidet ein Schauspieler Schiffbruch, schafft die von Heyme gestellten Hürden nicht, sinkt in Banalität ab. Oder Helga David als Libussa, die am Ende, ermüdet, die Konzentration nicht mehr aufbringt, ihren Stil durchzuhalten, outriert, vor dem Text kapituliert. Durchgängig gut nur ihre beiden Schwestern, sphinxenartig, drohend. Hier stimmen Intention und Ergebnis zusammen. So scheint die Inszenierung am Schluß flach, langweilig, anstrengend, wird zum Papiertheater. Man wünscht sich hiesige Schauspieler - eine Jesserer als Libussa.

Doch meistens stimmt alles, hört man zu, ist gepackt. Ein neuer Klassikerton. Unprätentiös, doch gut, einsichtig.

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