6807252-1972_14_12.jpg
Digital In Arbeit

Grillparzer für unsere Zeit

Werbung
Werbung
Werbung

Von den mehr oder minder verlegenen, oftmals ratlosen Versuchen, Österreichs größtem Dramatiker heute auf der Bühne gerecht zu werden, hebt sich der Beitrag des Grazer Schauspielhauses zum Grillpar-zer-Jubiläum in beachtlicher und besonderer Weise ab. Dem Unterfangen, die „Libussa“ — ein so schwieriges, ja disparates Werk — aufzuführen, konnte man nur wenig Chancen geben. Indes — es wurde die weitaus beste Klassikerinszenierung daraus, die in Graz während der letzten Jahre gezeigt worden war. Dr. Heinz Gerstinger, als Dramaturg und Vizedirektor in Graz noch immer unvergessen, ist mit dieser „Libussa“ eine geradezu beispielgebende Tat geglückt, die zeigt, wie profunde liturgische Bildung im Verein mit dem sicheren Bühneninstinkt des Praktikers ein so sprödes und schwer zugängliches Werk einem gebannt folgenden Publikum zum Erlebnis machen können.

Gerstinger trennt scharf die beiden Welten: die des Traums und des Schaffens, der Meditation und der Tat, des Geistes und der Materie, des Homo ludens und des Homo faber voneinander und setzt sie doch gleichzeitig in agonale Beziehung zueinander. Das wird allein schon deutlich durch die zwanglose Mehrdeutigkeit des Einheitsbühnenbildes (Christian Schieckel): Er ist in seiner einfachen Holzbauweise gleichermaßen urweltlich-außerirdisch wie symbolhaftes Kennzeichen einer pragmatischen Welt des Schaffens, Bauens, Werkens. In dem Realpolitiker Primislaus (Elmar Schulte) verbindet sich die Ohnmacht, Libussas Wesen zu erfassen, mit einer geradezu rührenden Trauer über das Unvermögen. Libussa selbst (Marianne Kopatz) schillert in allen Facetten einer erlebnisreichen Seelenlandschaft, sie gehört zur mythischen Welt des Traums und ist doch wieder von zarter irdischer Erotik. Vorbildlich versteht Gerstinger die Mitte zwischen Pathos und Understatement zu halten, den schwierigen Text zu gliedern und durch die Umstellung der ersten Szenen einen sinnvollen geistigen Schwerpunkt zu setzen. Das Geschehen im „Menschenland“ hat etwa die freundliche Realität des Märchens, ruhige stilvolle Bewegung beherrscht den ganzen Ablauf, während die Motorik fast ausschließlich in die Diktion verlagert ist. Die ganz ausgezeichnete elektronische Musikunt'er-malung stammt von dem Grazer Jazzfachmann Harald Neuwirth.

Der Erfolg, der Gottfried von Einems Dürrenmatt-Oper „Der Besuch der alten Dame“ bis jetzt treu geblieben ist, stellte sich auch bei der Grazer Premiere des Werkes sehr deutlich ein. Das Geheimnis dieses Erfolges liegt gewiß nicht allein im dankbaren Sujet, sondern dürfte nicht zuletzt auch der verhältnismäßig leichten Zugänglichkeit dieser Musik zuzuschreiben sein, die es vermag, ohne billige Illustration auszukommen, weil sie sich als Interpretin der komplexen Gefühlssituationen der Figuren in gekonnt kunstvoller Weise anbietet. Der scheidende, vom Glück nicht eben verfolgte Intendant Reinhold Schubert inszenierte eine bewegungsfrohe, sehr behende Aufführung, die Bertslau Klobucar leitete und die ein Gutteil ihrer spannungsvollen Attraktivität durch die Protagonisten Dagmar Naaf und Hans Lättgen erhielt. Uberflüssig zu sagen, daß Wolfgang Skalickis Dekorationen ebenso praktikabel wie symbolhaft waren.

In einer beinahe intendantenlosen Zeit (Schubert ist im Weggehen, Nemeth aber noch nicht richtig da) gelangen immerhin diese beiden erstaunlich guten Produktionen. Sie wurden aufs glücklichste auf dem heiteren Sektor ergänzt durch ein an sich unbedeutendes, textlich aber sehr geschickt gemachtes Boulevardstück „Ein Mädchen in der Suppe“ von Terence Frisby. Die besondere Anziehungskraft, die über das in dem Genre sonst Übliche hinausgeht, kam von zwei Gästen: Der junge Wiener Regisseur Ernst Wolfram Marboe inszenierte mit so leichter Hand, so selbstverständlicher Präzision und so überraschenden Einfällen, daß der Erfolg nicht ausbleiben konnte. Das Übrige tat der zweite Gast — Miriam Dreifuss — in der Titelrolle: ein so ausgefallen individualisiertes Geschöpf, das seine Charakternuancen wie ein Bilderbuch voller Überraschungen aufzublättern versteht, ist allerdings wirklich ein Glücksfall, der erfreulicherweise in Otto David, ihrem Partner, eine ideale Ergänzung fand.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung