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Artmann-Verbarium szenisch

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Es ist fraglich, ob der Entschluß, zwei aus den fünfziger Jahren stammende Einakter von H. C. Artmann jetzt auf die Bühne zu bringen, sehr glücklich war. Artmanns Dramolets haben ihren fixen Stellenwert in der Geschichte der Wiener Gruppe und der österreichischen Literatur; ihre Vergrößerung durch szenische Darstellung kann nicht halten, was das Lesen verspricht. Dies gilt insbesondere für das zum erstenmal in Österreich gezeigte Kasperlspiel „die liebe fee poeahontas oder kasper als schildwache“, das mit seinen Anklängen an die Infantilismen in den Dramen Wolfgang Bauers schmalbrüstig und so seicht wirkt, wie die Probebüfme des Grazer Schauspielhauses in der an sich raffinierten Gestaltung durch Jörg Kossdorff. Keine Frage allerdings ist es, daß dem Regisseur Werner Wöss mit der Inszenierung des (uraufgeführten) zweiten Einakters „Erlauben* Schas, sehr heiß bitte!“ ein blendender Wurf geglückt ist. Aus dem verbalen Material des Autors hat er eine szenische Konstruktion von beliebig einsetz- und vertauschbaren Figuren und Strukturen auf die Bühne gebracht, die zumindest so kurios und abstrus wirken wie der Titel des 15-Minuten-Stücks. Über dem thematischen Orgelpunkt „Kaffeehaus“ dreht sich ganz langsam ein Karussell isolierter Repliken, die an Beckett und Ionescos frühe Stücke denken lassen und doch über sie hinausweisen.

Im Grazer Schauspielhaus gibt es heben Molnärs „Olympia“, die in einer sehr dezenten, unaufdringlich eleganten Inszenierung durch Klaus Gmeiner zu sehen ist, nach längerer Zeit wieder ein antikes Drama. Die „Medea“ des Eitripides braucht nicht krampfhaft aktualisiert zu werden: über alle Pathographie menschlichen Schicksals hinaus steht hier sehr deutlich die Forderung nach dem Lebensrecht, die heutigem Emanzipationsstreben als Berufung dienen kann. Weit davon entfernt, aus Medea eine antike Frauenrechtlerin zu machen, akzentuiert der Regisseur Heinz Dietrich Kenter dennoch eine dem Werk innewohnende Konzeption von der Ehe, die als Vorgriff auf die neue Form der partnerschaftlichen Bindung gelten kann. Die „frühe Taube“ der Emanzipation muß scheitern; kein Platz ist in dieser Welt für Libussa und kein Platz für Medea: — die Technokraten haben noch immer das Wort. Demgemäß stellt Kenter den Jason (Gerd Rigauer) auch als gröbere Abart der Spezies Playboy, als originalen Angehörigen der Erfolgsgeneration der Medea (die großartige Mariane Kopatz) gegenüber: eine Konstellation, die immer wieder an das Paar Libussa-Primislaus denken läßt. Das Beste an Kenters Inszenierung ist, daß sie dem antiken Werk seine Form und seinen Charakter beläßt: in theatergeschichtlicher Hinsicht stimmt hier das meiste, selbst wenn keine euri-pideische „mediane“ einen Sonnenwagen stellt, der Medea durch die Lüfte entführt.

Im Opernhaus passierten dem Münchner Staatsintendanten Kurt Pscherer mit dem „Zigeunerbaron“ Mißverständnisse über Mißverständnisse. Aus der klassischen Operette macht Pscherer ein Musical, halb „Anatevka“, halb „West Side Story“ und somit einen hektisch bewegten Krampf von ungeahntem Ausmaß. Szaffi kommt aus dem Wohnwagen der Mutter Courage wie eine Bardame aus dem Nightclub von Steinamanger, Czipra ist eine auf alt geschminkte Carmen, ganze Bataillone von tanzenden und feixenden Zigeunern treiben fast pausenlos iht — allerdings perfekt choreo-graphiertes — Unwesen zur Strauß-Musik; das sind Verfälschungen, die bis in die Transformation des Handlungsablaufes gehen. Zsupän allein genügt nicht — seine Gesten und Reaktionen werden von einem Pulk magyarisch tuender, grimassenschneidender Komparsen mitgemacht. Das zielt auf Vergrößerung, bringt aber nur Vergröberung und ist trotz der perfekten Lackierung so humorlos, daß kein Mensch dabei ans Lachen denkt. Freüich, mit Walter Goldschmidt am Pult und einer sängerischen Glanzbesetzung konnte wenigstens der Musik kein Leids geschehen ...

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