6661756-1960_11_15.jpg
Digital In Arbeit

Dramen als Qual

Werbung
Werbung
Werbung

Am Aschermittwoch fand im Volkstheater die Premiere eines älteren Stückes von Tennessee Williams, „Orpheus steigt hera b“, statt. Eine überaus quälende Angelegenheit, vom Regisseur unbarmherzig in die Länge gezogen. Nur Musik, die innere Musik der Poesie, und ein feinst abgestimmtes Zusammenspiel erlesener Schauspieler vermag grausame Geschichten dieser Art auf der Bühne erträglich zu machen, sie zur Vision zu erheben. Williams schlachtet in diesem Drama unbarmherzig die Menschen des „tiefen Südens“ aus: eine unerlöste Welt, in der Nigger geteert, gefedert, gelyncht, entlaufene Sträflinge mit Bluthunden zu Tode gehetzt werden. In dieser heißen Wüste von Blut und Brutalität stehen kreischend, schimpfend Hysteriker herum. „Niemand lernt jemals jemanden kennen.“ Zwischen den Gewalttätigen flattern wie Vögel, die keine Beine haben und immer in der Luft bleiben müssen (das ist eine Mär dieses Dramas), einige rührende Gestalten herum: die erblindende Frau des Sheriffs. die Christus im Elend der Welt schaut und malt (ergreifend durch Dorothea Neff gestaltet), ein alter Negerzauberer, der seltsamerweise Indianerkriegsgesänge heult, und ein gescheitertes Mädchen, das durch Blanche Aubry zu einer faszinierenden Gestalt erhoben wird. Was soll hier Orpheus? Nun, dieser Orpheus des Tennessee Williams ist kein „schwarzer Orpheus“, wie ihn die Negerdichtung unserer Tage vorstellt, ist kein brasilianischer Orpheus, wie ihn die Filmvision als „Orfeu negro“ in großen Bildern an die Wand wirft, und ist in keiner Weise eine Reminis-zens an antike Urbilder, sei es auch in ihrer Verwandlung durch Cocteau, Existentialismus und Tiefenpsychologie. Orpheus ist hier ein simpler Bursche, der sich mehr schlecht als recht als Schlagersänger in billigen Nachtlokalen durchbringt und wandermüde der Drugstorebesitzerin Lady Torrance in den Schoß fällt. Der von Graz kommende Frank Dietrich wird der schlichten Aufgabe dieser Rolle erfreulich gerecht. Margarethe Fries, eine unserer besten Salondamen, findet sich nicht glücklich in der Rolle der unseligen Lady Torrance, die ihren krebskranken und bösartigen greisen Gatten (beklemmend von Benno Smytt präsentiert) tödlich haßt, schon lange bevor sie erfährt, daß er einst als Chef einer Bande den Weingarten ihres Vaters und diesen selbst verbrannt hat, als eine Tat der „Bestrafung“, da dieser einen Neger bewirtet hatte. Der böse Alte führt denn auch das böse Ende herbei. Orpheus wird von den Hunden des Sheriffs zerrissen, der schwarze Zauberer hebt klagend 6ein Schlangenhemd zum finsteren, leeren Himmel. Im letzten Akt wird etwas von dem großen Donnergrollen spürbar, das Tennessee Williams so gerne-heraufbeschwört in seinen stärksten -Stücken: Blitz. Donner, rauschende Flut über einem Land, das in Hitze„ Gier. Haß verbrennt. Freundlicher Beifall j des Publikums für die Bemühung der Schauspieler.

Vor einundneunzig Jahren eröffnete das Deutsche Volkstheater seine erste Spielzeit mit Ludwig Anzengrubers Volksstück „Der Fleck auf der Ehr“. Dieses letzte Werk des Wiener Dichters benützt nicht mehr seine Bauern, eine Erfindung Anzengrubers, um politische, weltanschauliche, kulturkämpferische Thesen zu inkar-nieren. sondern gibt sich als ein heiter-elegischer Lobgesang auf ein kreuzbraves, liebwertes Bauerntum. Die Franzi, ganz prächtig durch Hilde Sochor auf die Bühne gebracht, vermag schließlich aller Welt zu zeigen, daß sie seinerzeit unschuldig ins Gefängnis gekommen ist. Die bitterböse Welt, mit der Anzen-gruber zeitlebens so viel zu ringen hatte, hier wird sie nur noch durch einen armen Schalksteufel' präsentiert, den entlassenen Sträfling, eine Rolle, die Fritz Muliar Gelegenheit gibt, sie und das Stück zu überspielen, hingerissen von seinem Temperament und vom unbändigen Willen des Kabarettstars, der allein auf der Bühne steht. Ein trefflich zueinander passendes Bauernpaar stellen Leopold Esterle und Paula Pfluger auf die Bühne, Oskar Wegrostek als Franzis Gatte kann sich ebenfalls sehr gut sehen lassen, im Chor der zwei Dutzend Mitwirkenden. Mit viel Liebe hat Gustav Manker diesen Schwanengesang Anzengrubers inszeniert, im Volkstheater von 1960, für ein Publikum, das eine eigentümlich wienerische sentimentale Vorliebe für das „Land“ und ein „Landvolk“ hat, aus der Perspektive vergangener Sommerfrischenjahrzehnte. Herzlicher Beifall. Friedrich Heer

Im Original heißt das, Stück von Francois M a u-, r i a c „Les Mal Ahnes“, im Kleinen Konzert-, haustheaterder Josefstadt nennt man es „Die Egoisten“: Ein tyrannischer Vater ist vorhanden, der seine ältere Tochter um keinen Preis ziehen lassen will, zwei Töchter, die ein und denselben Jüngling lieben, und der Jüngling selbst, der wohl die ältere Tochter heiraten möchte, der aber auch für die Zuneigung der Jüngeren nicht unempfänglich war. Man braucht nicht mehr für einen Abend ...

Da wird geredet und zerredet, drum herum und durcheinander, stets von neuem und ohne daß auch nur irgend etwas davon besser würde; es beginnt trübe und endet trübe, dazwischen liegt ein Bilderbogen des Jammers, an dem alle Beteiligten in gleichem Maße Schuld tragen; ein Familienviereck der Bedrängnis, Anfechtungen und der Tränen, der Ausbrüche und Feigheit, der Heuchelei, Verzichte und Komplexe — alles in allem: in diesem Haus ist nicht gut, zu sein. Man fühlt sich in Großvaters dramatische Seelenkiste zurückversetzt.-

Das Stück berührt nicht, es kommt nichts dabei heraus, an manchen Stellen, dort wo. das. Dickicht .der wechselvollen (erotischen und neurotischen) Beziehung gen. kreuz ufld., quer durch diese„ lebensunfähige. Familie gar zu schwülstig und verkrampft, wird.

grenzt es ans Unerträgliche — trotz 'des“berühmten Namens seines greisen Autors. Die sehr korrekte Inszenierung Edwin Zboneks' ist besser als das Stück und Übersetzung, die Schauspieler (Erik Frey, Vater, Elfriede Irrall: jüngere — und Inge Rosenberg: ältere Schwester, und Michael Heitau: Jüngling) sind nicht so gut wie sonst.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung