6915232-1981_23_13.jpg
Digital In Arbeit

Muttermilch – was sonst?

Werbung
Werbung
Werbung

Der Streit um dctt Wert oder Unwert künstlicher Babynahrung hat ein vorläufiges Ende gefunden. Bei der diesjährigen Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Qpnf stimmten fast alle 1000 Delegierten für die Einhaltung eines „Babynahrungs-kodexes", der außer einer Kontrolle der Abgabe auch ein striktes Werbeverbot für solche Produkte vorsieht. Nur drei der 135 in Genf vertretenen Länder, die USA, Tschad und Bangladesch, stimmten dagegen.

Weltweites Aufsehen erregte der bis dahin eher akademische Streit um Vorzüge und Nachteile der Säuglingsnahrung erstmals, als vor drei Jahren Entwicklungshelfer den Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestle als „Babykiller" bezeichneten, weil die Produkte des Multis angeblich in der Dritten Welt, unsauber und unrichtig zubereitet, zum Tode Tausender Säuglinge geführt hätten. Die Ankläger wurden zwar vor einem Schweizer Bundesgericht wegen übler Nachrede verurteilt, die heiße Diskussion um die fragwürdigen Vertriebs- und Zubereitungsmethode der Babynahrungshersteller ging aber auf internationaler Expertenebene weiter.

Diese Vorwürfe waren nicht zuletzt Wasser auf die Mühlen jener Ärzte, die schon vor vielen Jahren die Vorzüge der Muttermilch gegenüber künstlicher Säuglingsernährung herausgefunden hatten und das Stillen als biologisch vollwertige und notwendige „Entwicklungshilfe" für das Kind propagierten.

Auch der Wiener „Stillpapst" Univ.-

Prof. Hans Czermak ist ein eifriger Befürworter der natürlichen Säuglingsernährung. Denn Muttermilch enthält nicht nur alle wichtigen Nahrungsstoffe in der richtigen Zusammensetzung, sondern auch I mmunabweh rkörper. die das Kind braucht. Für die Kinder der Industriestaaten stellt die künstliche Zusatz-- oder Ersatznahrung praktisch kein Risiko dar, weil sie unter den richtigen Voraussetzungen verabreicht wird.

Das Problem der Säuglingsernährung in Entwicklungsländern liegt für Czermak daher auf zwei ganz verschiedenen Ebenen: Einerseits in den mangelhaften hygienischen Verhältnissen und der oft fehlenden Aufklärung über die Vorzüge des Stillens, andererseits in der immer größeren weltweiten „Stillmüdigkeit", die in Entwicklungsstaaten als Statussymbol aus den Industrieländern offenbar übernommen wurde.

Czermak hat in einer persönlichen Fragebogenaktion unter Müttern 65 verschiedene Argumente herausgefunden, weshalb junge Frauen in Österreich nicht mehr oder überhaupt nicht stillen wollen. Die Argumente reichen von reiner Bequemlichkeit über kosmetische Überlegung bis zur Krebsangst.

Ebenso wir Prof. Czermak sind auch viele seiner Kollegen in aller Welt davon überzeugt, daß das „Babykillersyn-drom" auf einer falschen Fragestellung basiert. Nicht die Zusammensetzung der Babynahrung ist das Problem, sondern die Substitutionswünsche, die damit unterschwellig bei Frauen in allen Ländern hervorgerufen werden.

Daß sich solche Argumentation die Babynahrungshersteller nur allzu gerne zu eigen machen, ist verständlich. So verweist Nestlc-Marketing-Manager Hellmut Graffinger in einem Gespräch darauf, daß auf jeder Babynahrungspackung der Aufdruck „Muttermilch ist die beste Nahrung für den Säugling" steht und daß für die österreichische Produktion ausschließlich heimische, einwandfreie Rohstoffe verwendet werden.

Die Österreich-Tochter des Welt-multis vertreibt bei uns nur Milchnahrung. Produktionsziffern und Marktanteile werden von Nestele aber ebenso wenig bekanntgegeben wie von den anderen meist bundesdeutschen Babynahrung. Produktionsziffern und Marktanteile werden von Nestle aber ebenso Umsätzen gut leben. Denn die sanfte „Zwangsbeglückung" junger Mütter in Spitälern und in Mütterberatungsstellen ist bei uns ebenso ein fester Bestandteil der Säuglingsbetreuung wie die Usance, in diversen Arztpraxen Gratispackungen zu verteilen.

Die Solidarität Österreichs mit den Dritte-Welt-Staaten wird daher auch auf dem heimischen Säuglingsnahrungsmarkt spätestens dann Unruhe hervorrufen, wenn die Beschlüsse von Genf national in die Tat umgesetzt werden sollen.

Ob solche Aktionen, so begrüßenswert sie auch sind, dem Stillen zu mehr Popularität verhelfen werden, ist allerdings zweifelhaft.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung