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Ein Herz für Kinder

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Was Hans Czermak stets ein Anliegen war, „Leib- Seele-Probleme im ersten und zweiten Lebensjahr“, war jüngst Thema einer Veranstaltung in Wien zu Ehren dieses Kinderarztes.

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Was Hans Czermak stets ein Anliegen war, „Leib- Seele-Probleme im ersten und zweiten Lebensjahr“, war jüngst Thema einer Veranstaltung in Wien zu Ehren dieses Kinderarztes.

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Zum 70. Geburtstag des Wiener Kinderarztes Univ.-Prof. Hans Czermak wurde in der Wiener Universitätskinderklinik ein sozialpädiatrisches Symposium begangen. 21 menschenfreundliche, lebensweise, auch internationale Experten, zumeist Ärzte, oder anderweitig mit Kindern Befaßte präsentierten ihm die Früchte seiner lebenslangen Arbeit und zugleich einen Fachüberblick von heute.

Diese Inventur ergab, daß sich in einer Generation, auch durch den unermüdlich-penetranten Einsatz des Jubilars, viel verbes-

sert hat: Die Erkenntnis von der Wichtigkeit früher Lebensmonate, des Stillens und elterlicher Zuwendung für das ganze spätere Leben haben sich durchgesetzt, nicht zuletzt durch die Kostspieligkeit späterer Nacherziehungsversuche bei in Drogen schiefgelaufenen Entwicklungen; auch die Erhellung des vorgeburtlichen Seelenlebens, über die Univ.- Prof. Sepp Schindler berichtete, bahnt sich an.

„Liebe statt Hiebe“ ist zum Schlagwort geworden, daß die „Gesunde Ohrfeige“ krank machen kann, spricht sich herum, und der Trend zu natürlicheren

Vorgangsweisen rings um die Geburt ist nicht zu übersehen.

Wie der Gynäkologe Volker Korbei ausführte, ist, entgegen eingewurzelten Ängsten, das Risiko der sanften Geburt gegenüber herkömmlichen Klinikmethoden um die Hälfte verringert, „korreliert die westliche Säuglingssterblichkeit direkt mit der Anzahl geburtshilflicher Operationen“ und sind auch die üblichen Kaiser- und Dammschnitte bei konventionellen Methoden doppelt so hoch, unabhängig von Klinik- oder Hausgeburt.

Der Unterschied beruhe auf Zusatzinformationen, die man auch im Gasthaus an Interessentengruppen vermitteln kann, die der Mutter aber Verständnis und aktive Mitarbeit bei einem natürlichen, physiologisch ausgezeichnet gesteuerten Vorgang erlauben, in den das Spital mit seinen technischen Hilfsmitteln oft ungerechtfertigt eingreift, weil man ihr diese Fähigkeit nicht zutraut

Das gleiche bevormundende Intervenieren gelernter und ungelernter Erzieher (=Eltem) macht Primarius Günter Pemhaupt für ihre Mißerfolge verantwortlich — bei geringerer Einmischung liefen Entwicklungen glatter ab. Zwischen perfektionistischer und antiautoritärer Erziehung, die den Kindern aus Respekt vor ihrer Eigenart auch Schutz, Anleitung und Wärme versagt sieht Prof. Franz Wurst den richtigen Mittelweg, der auch individuelle Reifungsvorgänge beachtet

Fortschrittliche ländliche Spitäler tragen manchmal mit neuen Besuchszeitregelungen kindlichen Bedürfnissen schon sehr gut Rechnung (flexible zwei Stunden,

die nach Wahl verlegt oder verlängert werden können), oft kommt man dort mit der Klientel auch in partnerschaftliche Gespräche (Primarius Walter Po- tacs).

Die von Univ.-Prof. Hans Strotzka einst nach englischem Vorbild in Mütterberatungsstellen erfolglos angebotenen psychohygienischen Ratschläge werden heute gefordert. Ein Adoptivelternverband bemüht sich bereits, weil Eltern „durch nichts ersetzbar“ sind, um die Plazierung behinderter Kinder.

Der Schweizer Gast Univ.-Prof. O. Tönz ging den Wurzeln von ,^Iamma“ und „Pappe“ (lateinische Bezeichnung der ersten Zukost des Säuglings) nach, jenen frühesten Lailauten, die in so vielen Sprachen Allmutter, Brust und Nahrung bzw. den später, aber unentbehrlich in seine Rechte (und Pflichten!) eintretenden Nährvater bedeuten.

Obwohl man die Stillzeiten aller Säuger weiß, kann man sie für den Menschen nicht angeben. Nach dem vierten und vor dem achten Monat ist er zur Löffelkost bereit, aber als physiologische Frühgeburt und „sekundärer Nesthocker“ kann er sie nicht aufsuchen, sondern muß sich auf seine Eltern verlassen. Die biologische Uhr des Stillens schaltet bei ihm (geburtenregelnd!) zwischen einem und drei Jahren ab.

Von den 130 Millionen Kindern, die jährlich geboren werden, sterben laut Weltgesundheitsorganisation WHO bis zum 15. Lebensjahr zehn Prozent, davon in manchen Entwicklungsländern bis zu 40 Prozent, aber nur vier Prozent in Industrieländern. Letztere niedrige Zahl ist auch Menschen wie Czermak zu verdanken, die ein Herz und Ohr dafür haben, uns die oft schwerverständliche Sprache kindlicher Bedürfnisse zu übersetzen.

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