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Neues Leben im Negew

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Bis vor wenigen Wochen belächelten die Einwohner Tel Avivs die Bewohner von Beerscheba und sagten, daß die Entfernung von Beerscheba nach Tel Aviv zwar nur fünf Viertelstunden betrage, die umgekehrte Entfernung jedoch die von einigen Jahren sei. Seit dem Beginn des Golfkrieges hat sich diese hochnäsige Einstellung geändert.

Ungefähr 50.000 Tel Aviver sind in die belächelte Negew-Hauptstadt entwichen. Man trifft sie in den Straßen, beim Einkauf und vor allem im Kaffeehaus „Kapulski” im Einkaufszentrum bei der Autobus-Station. Da es nur wenige Hotels gibt, wohnen die meisten entweder in Mietwohnungen oder bei Verwandten. Das Geschäftsleben hat durch diese „Neuankömmlinge” großen Auftrieb erhalten und die Geschäftsinhaber sind zufrieden, aus ihrer Stagnation herausgekommen zu sein.

Die Munizipal-Behörde arbeitet mit voller Mannschaft wie in Friedenszeiten. Es gibt im ganzen 219 Stadtangestellte, die mit der Müllabfuhr beschäftigt sind. Alle sind Neueinwanderer, zum größten Teil aus der Sowjetunion, unter ihnen zahlreiche Akademiker. Seit dem 15. Jänner besteht ein Ausgeh verbot für die Araber der besetzten Gebiete, sodaß diejenigen, die bei der Müllabfuhr beschäftigt waren, nicht mehr kommen konnten.

Die Stadt hat einen 24stündigen Informationsdienst eingerichtet. Ein großer Teil der Fragen kommt von Seiten der Neueinwanderer, und bezieht sich auf Zivilschutzprobleme.

Das einzige Krankenhaus des Großraumes Beerscheba, „Siroka”, ist gleicherweise beschäftigt wie in Friedenszeiten. Allein eine interessante Änderung gibt es schon, die Anzahl der Geburten ist sprunghaft gestiegen.

Die Schulen kehren langsam zu ihrer Routine zurück. In den oberen Volksschulklassen und allen Mittelschulklassen findet regelmäßiger Unterricht statt, nur in den ersten Volksschulklassen wird der Unterricht erst im Laufe des Februar anlaufen.

Die Schüler aller Altersstufen sind verpflichtet, ihre Gasmasken mitzubringen. Kinder, die sie vergessen haben, werden nach Hause geschickt, um sie mitzubringen. Für alle Schüler gibteseine hinreichen-de Anzahl dichtverschlossener Räume; man rechnet noch immer mit einem möglichen Gasangriff des Irak. In den sechs Mittelschulen lernen auch einige Dutzend Beduinen-Schüler. Von diesen ist inzwischen nur ein Drittel zum Unterricht erschienen.

Auch im Umkreis von Beerscheba, den Entwicklungsstädten Di-mona, Jerucham und Of akim, herrschen ähnliche Verhältnisse, wenn auch in kleinerem Maßstab. Auch dort sind alle Wohnungen vermietet, sehr viele Verwandte und Bekannte aus dem Tel Aviver Raum angekommen, und es gibt eine erhöhte Einkaufsrate.

Der erste Ministerpräsident Israels, David Ben-Gurion, hatte einst von den Einwohnern des dichtbesiedelten Tel Aviver Raumes verlangt, in andere Teile des Staates zu wechseln und den fast leeren Negew zu besiedeln. Ausgerechnet Saddam Hussein scheint zu gelingen, was einem Ben-Gurion versagt blieb: Zehntausende Tel Aviver befinden sich heute im Negew, auch wenn dies nur provisorischen Charakter hat.

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