6798969-1971_24_06.jpg
Digital In Arbeit

„Probleme wie in der Schweiz…“

19451960198020002020

Nordirlands Katholiken sind in Nordirlands Parlament, Stormont, beziehungsweise dessen Unterhaus, mit einer Reihe ungewöhnlich junger Abgeordneter vertreten, die eine verhältnismäßig breite Palette von Vorstellungen über die Zukunft Nordirlands entwickeln. Der junge Katholik Austin Currie, Abgeordneter der nordirischen Social Demo- crat and Lahour Party, deren Führer Gerry Fitt in einem weiteren Interview zu Wort kommen wird, sieht eine mögliche Lösung für Nordirlands Probleme in einer Verteilung der Regierungsverantwortung nach Schweizer Vorbild. Sein Zukunftsmodell könnte einen Ansatz für die Quadratur des irischen Zirkels, einerseits Abschaffung der Grenze, anderseits Aufrechterhaltung einer gewissen nordirischen Unabhängigkeit gegenüber Südirland enthalten und damit eines Tages vielleicht auch Nordirlands Protestanten schmackhaft gemacht werden. Das hofft zumindest Currie.

19451960198020002020

Nordirlands Katholiken sind in Nordirlands Parlament, Stormont, beziehungsweise dessen Unterhaus, mit einer Reihe ungewöhnlich junger Abgeordneter vertreten, die eine verhältnismäßig breite Palette von Vorstellungen über die Zukunft Nordirlands entwickeln. Der junge Katholik Austin Currie, Abgeordneter der nordirischen Social Demo- crat and Lahour Party, deren Führer Gerry Fitt in einem weiteren Interview zu Wort kommen wird, sieht eine mögliche Lösung für Nordirlands Probleme in einer Verteilung der Regierungsverantwortung nach Schweizer Vorbild. Sein Zukunftsmodell könnte einen Ansatz für die Quadratur des irischen Zirkels, einerseits Abschaffung der Grenze, anderseits Aufrechterhaltung einer gewissen nordirischen Unabhängigkeit gegenüber Südirland enthalten und damit eines Tages vielleicht auch Nordirlands Protestanten schmackhaft gemacht werden. Das hofft zumindest Currie.

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Im Spätsommer 1969, als Nordirlands damalige Regierung ihr Reformwerk begann, haben auch die katholischen Abgeordneten den guten Willen der Regierung, die Situation der katholischen Minderheit zu verbessern, anerkannt. Und heute?

CURRIE: Der Weg von der Theorie zur Verwirklichung ist zu lang. Es wurden zwar gesetzliche Reformen durchgeführt, aber ungeachtet dieser Reformen hat sich faktisch nichts geändert. Das ist das Problem.

FURCHE: Wo sehen Sie den Grund dafür?

CURRIE: Wir glauben, daß sich so lange nicht wirklich etwas ändert, solange die Minderheit von den Entscheidungen der Regierung ausgeschlossen ist, solange sie nicht Gelegenheit bekommt, an ihnen mdtzuwirken. Bis dahin sehen wir keinen Ansatz für eine Änderung der Lage, und in diesem Fall muß auch die Britische Armee im Land bleiben.

FURCHE: Sehen Sie eine Möglichkeit, im^ Rahmen von Nordirlands parlamentarischem

System die Minderheit an den Entscheidungen der Mehrheit zu beteiligen?

CURRIE: Stormont, unser Parlament, ist von einer starken Mehrheit der Unionistischen Partei beherrscht. Unser Regierungssystem basiert auf dem West- minstersystem, wobei aber keine Rücksicht darauf genommen wird,

daß hier völlig andere Bedingungen vorliegen. Wir haben, wie Westminster, ein Ober- und ein Unterhaus, aber in Westminster sind bekanntlich zwei Großparteien vertreten, deren jede die Chance hat, eine echte Mehrheit und damit die Regierungsverantwortung zu erlangen. Hier in Nordirland ist nicht einmal der Anschein einer solchen Möglichkeit vorhanden, die eine Partei hat hier für immer die Mehrheit und die andere Partei ist für immer zum Oppositionsdasein verurteilt. Und damit von Mitverantwortung ausgeschlossen.

FURCHE: Wie könnte man ihr Gelegenheit verschaffen, ebenfalls Verantwortung zu tragen, an den Entscheidungen beteiligt zu werden?

CURRIE: Ich denke an eine Koalition nach Schweizer Vorbild, an ein System zur Verteilung der Regierungsvera>ntwortung, wie es die Schweiz hat. Ich erinnere mich: Die Schweizer hatten einst ähnliche Probleme wie wir jetzt. Die heutige Schweizer Verfassung entstand nach einem Bürgerkrieg zwischen katholischen und protestantischen Kantonen. Die Schweiz hat ihre Lektion gelernt.

FURCHE: Wie sehen Sie die Stellung von Nordirlands Parlament?

CURRIE: Dieses Parlament ist nicht souverän, sondern hängt von London ah. Stormont ist ein

Lokalparlament, zuständig nur für lokale Probleme, das von seinen Möglichkeiten, unabhängig zu entscheiden, nicht einmal dort Gebrauch macht, wo es dies könnte. Das meiste Geld kommt von London, die Verteilung der meisten Gelder wird von London entschieden, aber Stormont hat einen gewissen Spielraum. So zum Beispiel, um von einem heute behandelten Thema auszugehen, Stormont kann Lastwagen so besteuern, wie dies in England geschieht, muß dies aber nicht tun. Trotzdem sind Abänderungsvorschläge nicht durchzubringen. Stormont segelt in vielen Fragen sklavisch auf Westminster-Kurs.

FURCHE: Wie denken Sie über die Grenze zwischen Nordirland und der Irischen Republik?

CURRIE: Diese Grenze kann nur mit einer Parlamentsmehrheit abgeschafft werden, und diese Mehrheit kann nicht über Nacht erlangt werden. Nordirlands Katholiken und Protestanten müssen sich Zusammenleben,- bis das geschehen kann.

FURCHE: Sie wollen die Vereinigung mit Südirland?

CURRIE: Ja, ich will sie. Aber ich will sie mit friedlichen Mitteln.

FURCHE: Andere katholische Politiker Nordirlands denken da bekanntlich anders.

CURRIE: Ich bin ein Gegner von Gewalt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung