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Träume und Realität

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Das Leben wird nicht mehr als Qual erscheinen, für die der Trost im Jenseits winkt.... Arbeitsfreudige und lebensfrohe Menschen werden auf Erden wandeln. Der Himmel bleibt den Engeln und den Spatzen.

Dies sind die Schlußsätze aus dem „Sozialdemokratischen Programm“ (1910) des Zentralsekretärs der Sozialistischen Parteiorganisation, Robert Danneberg. Er war es, der das Programm des Austromarxismus in einer Schrift zusammenfaßte, die durch Jahrzehnte hindurch wichtiges Bü-dungswerk für die Vertrauensleute der Partei blieb. Gerade die letzten Sätze des Programms charakterisieren in scharfer Deutlichkeit die Tragik der austromarxistischen Bewegung. Träume und Realität vermischten sich in gefährlicher Weise miteinander: „Die Überschätzung der Parteiorganisation setzte sich in einer Uberschätzung der eigenen politischen Macht fort und trug dazu bei, den Sinn für die realen Machtverhältnisse zu verlieren“.

Die Illusion eines „vollkommeneren Zustandes, in dem der Klassengegner aus der Gesellschaft verdrängt sein würde“ und zu dem hin „die Demokratie liberal-parlamentarischer Prägung lediglich eine Durchgangsstufe“ darstellte - so Norbert Leser in seinem 1977 erschienenen Buch „Als Zaungäste der Politik“ - sowie „pseudo-reli-giöse Rechtfertigungsideen“ verdunkelten den Führern der sozialdemokratischen Partei den Blick für den Ernst der Lage und ließ sie Risken eingehen, die unter anderem letztlich zu den historischen Ereignissen beitragen mußten.

Norbert Leser sprach vergangene Woche anläßlich einer Veranstaltung der österreichischen Gesellschaft für Literatur über das Thema „Austromarxismus und Literatur“. Er zog den Bogen von der Kampfliteratur des Friedrich Austerlitz in der „Arbeiter-' Zeitung“ bis hin zur „bürgerlichen Mitleidsdichtung“ von Anton Wildgans. Die Auswahl der literarischen Werke gab ein differenziertes Stim-mungs- und Lebensbild aus der Welt des Austromarxismus: die grauenhafte Not und das unsägliche Leid der damaligen Arbeiterklasse, das Fehlen sozialer Sicherheiten, den Bildungshunger der Arbeiter und ihre Flucht in die Traumwelt der Literatur. Dies alles beschreibt die Abeiterdichterin Adelheid Popp in ihrer „Jugendgeschichte einer Arbeiterin“ (1909): Das Verlangen nach Bildung als Voraussetzung für innerliche Freiheit.

Alfons Petzold litt und starb an der damaligen Arbeiterkrankheit, der Tuberkulose. Er schildert seinen Leidensweg in dem autobiographischen Roman „Das rauhe Leben“, der als Zeitdokument der ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts Gültigkeit besitzt. Petzold überhöht das Leid in eine andere Welt; in seinem Werk kommt das zutiefst Ekstatische und Visionäre aber auch das religiöse Element des Austromarxismus zum Ausdruck.

In Karl Renners „Freundschaft“ zeigen sich Sehnsucht und Glaube in die Kraft einer solidarischen, in Freundschaft verbundenen Gesellschaft. Renner war erfüllt von einem Weltbild des Friedens, das der Sozialismus dereinst verwirklichen werde. „... noch ist es nicht Deines, doch es kommt dereinst.“

Zahlreiche literarische Formen, wie die Agitations- und Organisationsliteratur, soziale und sozialistische Literatur, Arbeiterdichtung und Kampfbroschüren spiegeln die Ursachen, die Ziele und die tiefe Widersprüchlichkeit des Austromarxismus und seiner „Politik der radikalen Phrase“ wider. Max Adler zeichnet in seinem Buch „Neue Menschen“ die für den Austromarxismus typische Grundstimmung: Gesamtveränderung und Erneuerung, „die die Nähe gleichzeitig aber auch das Konkurrenzverhältnis zur neutestamtenüichen Botschaft verdeutlichte“. Er wurde damit zum Fürsprecher eines „humanistischen Enthusiasmus“.

Folgt man Norbert Leser und vergleicht auch an Hand literarischer Dokumente die Grundstimmung des Austromarxismus und jener der heutigen sozialistischen Bewegung, so zeigt sich deutlich, daß der Sozialismus mit zunehmendem Anteil an der Macht des Staates zwar an Strategie hinzugewonnen hat, jedoch vieles von jenem ..humanistischen Enthusiasmus“ einbüßen mußte, der dem Austromarxismus eigen war.

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