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Das Umfeld des Austromarxismus

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Die für den Austromarxismus charakteristische Synthese von sozialistischer Zielsetzung mit demokratischer Politik prägte die österreichische Arbeiterbewegung von der Gründung der sozialdemokratischen Arbeiterpartei am Parteitag von Hainfeld am 31. Dezember 1889 bis zum blutigen 12. Feber 1934.

Gegenwärtig gewinnt diese Synthese an Bedeutung unter den kommunistischen Parteien, die sich von der Vormundschaft des Kremls lösen, um ihrerseits sozialistische Ziele im Rahmen der parlamentarischen Demokratie zu verwirklichen. Diese Entwicklung führt vor allem in Italien zu wachsendem Interesse für den Austromarxismus.

Während der dogmatische Marxismus Lenins als Bolschewismus in eine institutionelle Erstarrung verfallen ist, entwickelten die Austromarxisten ein weltoffenes System, welches ihnen alle humanistischen Werte der Aufklärung zugänglich machte. In den Worten von Leszek Kolakowski, zitiert vom Autor dieses Buches:

„Die Österreicher unterstrichen vor allem den Universalismus des marxistischen Standpunktes sowohl im intellektuellen wie im moralischen Sinne. Nach ihrer Ansicht genügte es, richtig zu denken, um den Marxismus anzuerkennen. Um die sozialistische' Idee zu akzeptieren genügte es, die allgemeinmenschlichen, nicht spezifisch klassengebundenen Werte ernst zu nehmen, die der Sozialismus am vollkommensten' zu verwirklichen versprach."

Die Austromarxisten befaßten sich bereitwillig und unvoreingenommen mit allen Aspekten des kulturellen Lebens im Sinne einer umfassenden Menschlichkeit. Ihr schöpferisches Interesse an den Lehren von Kant bereicherten das Erbe des marxistischen Gedankengutes und transzendierten die Grenzen zwischen Politik und Ethik. Außerdem schlug der Austromarxismus in allen Sparten der Wissenschaft und Kunst seiner Zeit Wurzeln, aus denen alle diese Sparten befruchtende Kräfte zogen.

Das Kapitel über „Volksbildung und Arbeiterbildung" dokumentiert die große emanzipatori-sche Leistung der österreichischen Sozialdemokratie in der Arbeiterschaft. Dabei machten die Austromarxisten nicht nur alle Gebiete des kulturellen Erbes in der Form von Literatur, Musik und den bildenden Künsten der kulturell benachteiligten Arbeiterschaft zugänglich, sondern trugen auf allen Gebieten schöpferisch zu diesem Erbe bei.

Entsprechend dem Titel des Buches beschränkt sich Ernst Glaser auf das „Umfeld" des Austromarxismus und berührt den eigentlichen Kern des Phänomens, die Politik, nur vorübergehend. In diesem Zusammenhang verweist die Abhandlung über „Pazifis-' mus und Gewalt" auf die innere Widersprüchlichkeit zwischen humanistischer Ethik und revolutionären Zielsetzungen, welche vor allem für die österreichische Sozialdemokratie charakteristisch war.

Der Stellenwert dieser Widersprüchlichkeit in den politischen Entwicklungen in Österreich und auch in Österreichs Nachbarländern in den Zwischenkriegsjahren wird damit als Ausgangspunkt für tieferschürfende Debatten angedeutet.

Die Abhandlungen über das Wohlfahrtswesen und das soziale Wohnbauprogramm in Wien behandeln die bedeutendsten Leistungen der österreichischen Sozialdemokratie im politischen Bereich. Diese wurden seither weltweit als beispielgebende kulturelle Leistungen anerkannt.

Im Rahmen des Kapitels über „Die Neuen Medien (Film, Rundfunk und Schallplatte)" wird auf drei Seiten die überaus positive Bewertung der damals aufblühenden russischen Filmkunst in Österreich besprochen. In der Sowjetunion war diese Filmkunst von dem Terrorregime Stalins bereits abgewürgt worden, als diese Filme in Österreich im Rahmen der kulturellen Programme der sozialdemokratischen Arbeiter-büdungsvereine gezeigt wurden.

Ihr Beitrag zur positiven Einstellung der Sozialdemokratie zur Sowjetunion hat jedoch zur Verschärfung der politischen Gegensätze in Österreich beigetragen, obwohl die österreichischen Sozialdemokraten im Sinne des Wertsystems des Austromarxismus den Bolschewismus von Anfang an abgelehnt hatten.

Das kulturelle Umfeld des Austromarxismus ging weit über die Grenzen Österreichs hinaus. Im Bereich dieses Umfelds wurden einerseits Beiträge von schöpferischen Denkern und Künstlern motiviert, die sich in den Zwischenkriegsjahren befristet in Österreich aufgehalten hatten, während andererseits viele Österreicher, die im Umfeld oder auch im Bannkreis des Marxismus gestanden waren, im Ausland ihrerseits wertvolle Beiträge in ihren jeweiligen Gebieten leisteten.

Das diesbezügliche Personenverzeichnis des Autors bietet daher einen wertvollen Ausgangspunkt für geisteswissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Forschungsarbeiten in zahlreichen Wissensgebieten. Glaser anerkennt dabei von sich aus den notwendigerweise fragmentarischen Charakter seiner Arbeit.

IM UMFELD DES AUSTROMARXISMUS. Von Ernst Glaser. Europa Verlag, Wien-München-Zürich. 1981. 584 Seiten. Lil, öS 480,-.

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