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Karl Marx und Otto Bauer

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Einführung In die Volkswirtschaftslehre. Von Otto Bauer. Mit einer Einleitung von Ernst Winkler und einem Nachwort von Benedikt Kautsky. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung. 388 Seiten. Preis 120 S

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Einführung In die Volkswirtschaftslehre. Von Otto Bauer. Mit einer Einleitung von Ernst Winkler und einem Nachwort von Benedikt Kautsky. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung. 388 Seiten. Preis 120 S

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Siebzehn Jahre nach dem Tod des großen Theoretikers des Austromarxismus haben Schüler des Verstorbenen das vorliegende Werk herausgebracht. Freilich ist es kein posthumes Werk im strengen Sinn, denn die Einführung in die Volkswirtschaftslehre wurde nicht von Bauer geschrieben, sondern gesprochen, und stammt aus Aufzeichnungen beziehungsweise Mitschriften von Ernst Winkler und Josef Buttinger, die als Hörer der Arbeiterhochschule seinerzeit zu den Hörern Otto Bauers gehört hatten.

Wenn man bedenkt, daß Bauer nur ein Semester zur Verfügung gestanden hatte, um die Elemente der Nationalökonomie vorzutragen, ist die Art seiner Darstellung als Muster an Konzentration zu bezeichnen. Gar nicht zu sprechen von der pädagogisch ausgezeichneten Formulierung, die schon deswegen notwendig war, weil die Mehrzahl der Hörer offensichtlich aus Arbeitern bestanden hatte. Darüber hinaus kann man sehen, was die alte Sozialdemokratische Partei von ihrem Führernachwuchs an Wissensmitgift verlangte.

Was nun Bauer bietet, ist nicht eine Volkswirtschaftslehre im üblichen Sinn, sondern eine Interpretation der Gedanken, die Marx in seinem „Kapital“ vorgetragen hatte, also eine Nationalökonomie in der Schauweise des Marxismus. Bauer tritt mit seinem eigenen Wissen hinter den „Meister“ zurück, dessen schwierige Gedankengänge er „meisterlich“ in die Alltagssprache zu übersetzen versteht.

Seit Bauer vor dem Führernachwuchs der österreichischen Sozialdemokratie die marxistische Analyse des ökonomischen Prozesses vorgetragen hat, sind über zwanzig Jahre verflossen. Die Menschheit konnte in der Zwischenzeit neue Erfahrungen sammeln. Dabei bot sich auch die Gelegenheit, das, was an den Aussagen Bauers Prognose war, zu prüfen. Auch fn Hand der Fakten einer Wirtschaftsepoche,-die manch tll „nachkapitalistisch“ bezeichnen wollen. Darüber hinaus ist es möglich gewesen, das wirtschaftliche Geschehen mittels des Instrumentariums der Mathematik und der Betriebswirtschaftslehre erheblich besser zu analysieren als es je der Fall gewesen war. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn — auch vom Standpunkt marxistischer Auffassung — nicht mehr allem, was Bauer sagt, zugestimmt werden kann. Freilich werden die Grundgedanken bei den Austromarxisten (die nun keineswegs tot sind, wie man bis 1955 meinte) kaum Widerspruch finden, während sie von den Nicht-marxisten und den freiheitlichen Sozialisten vorweg (wenn auch nicht in allen Einzelheiten, insbesondere was den historischen Teil betrifft) abgelehnt werden müssen. Darüber soll aber nicht referiert werden. Einige Anmerkungen seien vorgebracht: Wer Nichtmarxist ist, kann sich der Annahme, daß die Lohnarbeit das Kennzeichen des Kapitalismus sei, nicht anschließen (S 59). Man erkläre uns die Rechtsnatur des Lohnverhältnisses in der nachkapitalistischen Wirtschaft, das doch keineswegs ein Gesellschaftsverhältnis oder gar die Konstitution einer Mitunternehmerschaft darstellt. Daß die gesteigerte Arbeitsintensität den „Lebenslohn“ (das ist alles, was der Arbeiter Zeit seines Lebens erhält) kürzt, ist unrichtig In diesem Zusammenhang sei auf die Monographie eines französischen Sozialisten über dieses Thema verwiesen (vgl. P. Naville, La vie de travail et ses problemes, Librairie Armand Colin, Paris 1954 passim). Was Otto' Bauer über die Sozialisierung sagt, wurde durch die Erfahrung mit den etatistischen Experimenten widerlegt. Es ist nicht so, daß die Arbeiter aus ihren Reihen „Vertrauensleute“ wählen, denen die Führung der Betriebe obliegt. Bei Licht besehen, sieht die Sache wesentlich anders aus. Auch der Unternehmer ist (als Funktionär) nicht überflüssig geworden (S. 246). Im Gegenteil. Geradem der sozialisierten Wirtschaft muß üer Verwalter-Unternehmer seine Position in einer besonders wirksamen Weise (und dies auch im eigenen Interesse) zur Wirkung bringen und in einer Art Kostendenken „sein“ Unternehmen verteidigen. Auch gegen die Arbeitnehmer. Das ist nun einmal so gemäß einer ökonomischen Gesetzlichkeit, die man nicht ungestraft übersehen kann. Bauer glaubt aber nicht, in einer gleichsam „gehobenen Naivität“, daß die menschliche Natur durch den Sozialismus repariert werden könnte. Unter anderein meint er, daß, als Folge der Sozialisierung, die Arbeiter den neuen Verwaltern gegenüber in besondere Abhängigkeit kommen könnten. Aehnlich ist es, wenn der Sozialismus sich ^Is Genossenschaftssozia'lismus aktivieren sollte. So erkennt Bauer, daß auch der Sozialisierung — aus der Natur des Menschen heraus — Grenzen gesetzt sind.

Unabhängig davon, wie man zum Marxismus und zu seiner österreichischen „Abweichung“ steht, muß man im vorliegenden Werk den großen Versuch eines Wissenschaftlers sehen, um des pädagogischen und politischen Effektes willen, das, was er für wahr und wirklich hält, unwissenschaftlich, aber in einer Eindeutigkeit darzustellen, die derart war, daß der Marxismus bis weithinein in die Epoche des Nationalsozialismus Glaubensgut eines großen Teils der österreichischen Arbeiterschaft gewesen ist.

Für den, der mit der marxistischen Wirtschaftstheorie nicht vertraut ist, bietet das Buch eine gute, wenn auch sehr einseitige „Einführung“.

Die Einleitung Ernst Winklers (des Chefredakteurs von „Arbeit und Wirtschaft“) ist ebenso -klar und instruktiv (und gleichzeitig ein Stück Geschichte des Austromarxismus) wie das umfangreiche Nachwort von Univ.-Doz. Benedikt Kautsky.

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