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Die kalte Flamme

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OTTO BAUER. Eine Auswahl aus seinem Lebenswerk. Mit einem Lebensbild Otto Bauers von lulius Braunthal. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung. 238 Seiten.

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OTTO BAUER. Eine Auswahl aus seinem Lebenswerk. Mit einem Lebensbild Otto Bauers von lulius Braunthal. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung. 238 Seiten.

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„Dieses Buch entsprang einer Anregung des Nationalrats Ernst Winkler, der 80. Geburtstag der Geburt Otto Bauers am 5. September 1961 mit der Publikation einer Darstellung seines Lebenswerkes und seiner Persönlichkeit zu begehen.” Diese Worte stehen am Beginn Sie klingen beinahe wie eine Entschuldigung gegenüber Freund und Feind, weshalb der österreichische Sozialismus heute, im Jahre 1961, statt neue Siegesmeldungen von der „Konsumfront” zu erstatten, die Zeitgenossen mit einer so komplexen Persönlichkeit wie Otto Bauer und seiner anstrengenden Gedankenwelt konfrontiert.

An Stimmen der Gegner hatte es sogleich auch nicht gefehlt, die jedes Erinnern an Otto Bauer mit einem Bekenntnis zu jenem „Austromarxismus” gleichzusetzen können glaubten, der in den zwanziger und dreißiger Jahren die österreichischen Geschicke unheilvoll beeinflußte. Interessanter aber noch als di Reaktion gegnerischer Stimmen ist die Verlegenheit, ja das Unverständnis, mit dem vor allem jüngere sozialistische Journalisten dem Altmeister jener Bewegung heute gegenüberstehen, in deren Namen sie die Feder führen. . Ein bedingungsloses Ja zu den Thesen Otto Bauers können sie und wollen sie, mit Ausnahme eitriger linker Flügelmänner, nicht saget). (Wer könnte es auch?) Zu einer kritischen Auseinandersetzung aber fehlen Zeit, persönliches Engagement und — man verzeihe — vielfach auch oft der feste geistige Standort. Aber das Klima ist ja in Österreich, zur Zeit überhaupt geistigen Anspannungen abhold. Politik degeneriert so allmählich zu reiner Interessenmanipulation. und aus dem Staat wird der „Bundeslustverteiler”.

Da ist es schon ganz gut und vielleicht auch ein wenig lehrreich für Freund und Feind, wenn man am Beispiel Otto Bauers durch das vorliegende Buch daran erinnert wird, daß es einmal — es ist noch gar nicht so lange her — eine Zeit gab, in der um Ideen gerungen wurde, in der, angefangen vom Parlament bis in die letzte Sektionsversammlung, der Streit der Geister nicht Ausnahme, sondern die selbstverständlichste Sache der Welt war.

Aus den Büchern, Zeitschriften und ungezählten Aufsätzen Otto Bauers, der den österreichischen Sozialismus der Zwischenkriegszeit vom Redaktionstisch in der Rechten Wienzeile aus formte, hat Julius Braunthal, unterstützt durch Ernst Winkler und Jacques Hannak, eine Auswahl getroffen. Philosophische und soziologische Aufsätze des marxistischen Theoretikers machen den Anfang. Ihnen folgen literarische Porträts, die Otto Bauer von Freunden und Gegnern angefertigt hatte — unter ihnen auch der bekannte ritterliche Nachruf auf Seipel mit den vielzitierten Schlußworten: „So schicken auch wir dem großen Gegner drei Salven über die Bahre.” Zeigt sich schon hier Bauers stilistische Souveränität, so lebte sich dieser scharfe Analytiker und Polemiker in kämpferischen Leitartikeln vollends aus. Die unter dem Titel „Wir Bolschewiken” abeeführte Auseinandersetzung mit Dollfuß aus dem Jahre 1932 sei hier als ein Paradebeispiel angeführt.

Hell lodert die kalte Flamme von Bauers Intellekt auf. Man versteht, daß sie in ihrer Zeit Massen faszinierte. Man erkennt aber auch, daß dieses Feuer keine Wärme gab. Als Irrlicht führte die Flamme zu guter Letzt auf die Barrikaden des Februar 1934. Julius Braunthal stellt an die Spitze des Buches ein Lebensbild Bauers. Ein Jünger spricht über den Meister: unkritisch, ohne Versuch zu historischer Distanz und objektiver Wahrheitsfindung. Wenn Braunthal, was durchaus gerechtfertigt ist, Otto Bauers im letzten negative Einstellung gegenüber der österreichischen Eigenstaatlichkeit wiedergibt, so entspricht das nur der Wahrheit. Es mangelt uns aber jedes Verständnis, wenn der Herausgeber selbst im Jahre 1961, im Jahr 16 der Zweiten Republik, die mißlungene Anschlußpolitik Otto Bauers 1918 19 ausdrücklich bedauert und ein Bekenntnis zu der im letzten nationaldeutschen Sicht seines Altmeisters abgibt. Bauer legte bekanntlich im Juni 1938, im Kampf gegen die „reaktionäre Parole der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs”, die „revolutionäre Parole der gesamtdeutschen Revolution” den österreichischen Sozialisten ans Herz. Niemand anderer als der heutige Bundespräsident hat 1944 in dem historischen Gespräch mit den Abgesandten der Männer des 20. Juli diese Politik liquidiert. Eine Generation von Sozialisten ist in die Verantwortung eingerückt, denen das Bekenntnis zu Österreich mehr als nur ein Lippenbekenntnis ist. Und jetzt kommt der Sekretär der Sozialistischen Internationale, als solcher wirkt Julius Braunthal in London, und sagt seinen Parteifreunden und uns, daß es anders eigentlich viel besser und schöner gewesen wäre, wenn . ..

Das soll er doch den Kollegen von der FPÖ überlassen!

Man sieht: selbst die Beschwörung des Schattens Otto Bauers ist für den österreichischen Sozialismus noch immer mit Gefahren verbunden.

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