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Ein Knüller auf dem Theater

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Robert Musil bezeichnet in seinem Essay „Der deutsche Mensch als Symptom“ als das größte Problem jeder Gesellschaftsordnung die sinnvolle Einordnung der außerhalb der Ratio liegenden Kräfte des Menschen,, die Bewältigung jenes ungeklärten Rests aufgestauter Aggressionen, der in ruhigen und friedvollen Zeiten wie ein unter Verschluß gehaltener Vulkan

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Robert Musil bezeichnet in seinem Essay „Der deutsche Mensch als Symptom“ als das größte Problem jeder Gesellschaftsordnung die sinnvolle Einordnung der außerhalb der Ratio liegenden Kräfte des Menschen,, die Bewältigung jenes ungeklärten Rests aufgestauter Aggressionen, der in ruhigen und friedvollen Zeiten wie ein unter Verschluß gehaltener Vulkan

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Wehe der Gesellschaft, die nicht mit diesen Kräften rechnet. Aus diesem Aspekt heraus kann man die Stücke Bauers als politische Stücke bezeichnen, selbst wenn von Politik darin nicht gesprochen wird. Es gelang Bauer, etwas von dieser Gewitterschwüle, die ordnungspolitischen Vorstellungen der Gesellschaftstheoretiker zu entgehen droht, auf die Bühne zu bringen und als eine gesellschaftliche Wirklichkeit zu präsentieren. Dabei handelt es sieh ntiohit um bMdigen Naturalismus. Daß das Leben mehrere Seiten hat und man die Scheinwerfer nach Belieben und sicher auch dem Geschmack der Epoche entgegenkommend einmal mehr nach unten und einmal mehr nach oben richten kann, ist eine Binsenweisheit, gilt aber als Regel in einer Epoche, die selbst an dem Nachproduzieren aller Stilmdiirtel vom Idealismus bis zum Realismus keinen Spaß mehr findet. Es scheint jedenfalls, daß der sichere Instinkt für das, was sozusagen unter der Haut brennt, im Zusammenwirken mit auch nur einigem Talent mehr vermag als die noch so akademische Diskussion über das epische, das Anti- und sonstiges Theater.

Bauer ist in der Anwendung theatralischer Mittel konservativ. Es gibt In seinen Stücken das, was man schlicht und einfach Spannung nennt. Eine Tatsache, der er sicher einen Teil seines Erfolges verdankt. Insofern ist es vorbrechtsches, dem Volksstück verpflichtetes Theater, das Intellektualismen weitgehend aus dem Wege geht. Es lebt vom Agonalen, dem Dialog, bei dem es nicht darauf ankommt, wie gescheit er ist, sondern wie theatralisch wirksam. Vielleicht ist aber der Grund für den Erfolg, der Bauers Stücken beschieden war, nicht nur in der theatralischen Wirksamkeit zu suchen, sondern in dem gesunden Spürsinn für die Aktualität der Banalität, die zur Welt der „erwachsenen Kinder“ geworden ist. Deshalb tut man schlecht daran zu glauben, Bauers Stücke wären für den Underground geschrieben, hier ist nicht die Rede von den Randzonen der Gesellschaft, deren Fäulnis bewilligt ist ebenso wie öffentliche Häuser oder die unterirdische Kanalzone einer Großstadt, hier ist die Rede von Zuständen, die als latente Herausforderung unter der Zuckerglasur bürokratischer Ordnung lauern. In einem Zeitalter, in dem immer weniger Menschen immer mehr ent-

scheiden, immer mehr Menschen in einen Grad von Steuerbarkeit geraten, der ihre Abhängigkeit von nicht durchschaubaren Strukturen potenziert, entstehen Leerräume, die der von den Steuermechanismen im Stich Gelassene von sich aus nicht mit Sinn erfüllen kann. Das ist die Atmosphäre des „Magic afternoon“. Die Personen handeln nicht nach außen, sie haben sich abgeschlossen. Und hier geschieht nichts. Alles, was geschieht, geschieht zufällig, das Zu-ständliche dominiert. Die Verhaltensweise der Personen ist infantil. Diese Infantilität schlägt aber auch angesichts von Mord und Tod nicht um. Die Personen in Bauers Stücken erleben keinerlei Reifungsprozeß. Charly verkriecht sich in „Magic afternoon“ zum Schluß in einen Kasten, als er mit dem Tod konfrontiert wird, wie ein Kind, das Schläge bekommen hat.

Auch die Aktivitäten, die das Stück „Change“ aufweist, sind nur Scheinhandlungen. Der Kreisel dreht sich von selbst, obzwar Bauer sich für das Stück eine richtige Story ausdachte. Aber auch hier ist die Regie, die der Hauptakteur führt, nur die Bemäntelung der schon von Beginn des Stückes an vorhandenen Totenstarre, der psychedeliisclhe Taumel eines Selbstmörders.

Ob Bauers Stücke als Abwehrmittel gegen die konservative österreichische Gesellschaft zu verstehen sind, wie Ute Nyssen in ihrem Nachwort zu interpretieren weiß (für progressive Herausgeber sind diese Dinge offensichtlich sehr einfach), oder ob er nicht z. B. in „Cange“ nur dort einhakt, wo absolutes Nichtkönner-tum sich mit pseudointellektuellem Gehabe vermählt — was, nur nebenbei bemerkt, überall auf der Welt zu den unangenehmsten Erscheinungen

des modernen Kunstbetriebes zählt —, bleibe dahingestellt. Tatsache jedenfalls ist, daß man gerade bei Bauer mit solchen Klischees nicht auskommt, hier gibt es keine Schablonen, weder links noch rechts gefärbte, weder Underground noch Establishment. Viel einfacher: Bauer zeigt nur jenes Surplus an Stumpfsinn, an dem diese Gesellschaft leidet, die hohen Besucherzahlen in seinen Stücken beweisen, daß man sich angesprochen fühlt.

„MAGIC AFTERNOON“, „CHAN-GE“, „PARTY FOR SIX“. Drei Stücke von Wolf gang Bauer, mit einem Nachwort von Ute Nyssen. Verlag Kiepenheuer und Witsch. 282 Seiten, DM 10.—.

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