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Vorsicht mit Austrofaschismus

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Everhard Holtmann, Schüler und Assistent des sozialistischen Historikers Hans Mommsen am Institut für Politische Wissenschaften der Universität Erlangen-Nürnberg, hat in seinem methodisch hervorragenden und minutiös gearbeiteten Werk - ein Ausländer hat da oft mehr Distanz als ein parteigeprägter Österreicher - ein besonders umstrittenes Kapitel der österreichischen Zeitgeschichte, nämlich die Beziehungen des autoritären Regimes Dollfuß-Schuschnigg zu der nach dem Februar 1934 für „illegal“ erklärten sozialdemokratischen Arbeiterschaft, aufgegriffen.

Für seine objektive Beurteilung spricht u. a. das grundsätzlich klärende Kapitel, das er dem Werk voranstellte: „Austrofaschismus? Einige Bemerkungen zum Typus des autoritären Regimes“ (11-20). Hier heißt es: „Ob sich der Begriff auf die Systemzeit von 1934 bis 1938 ausdehnen läßt, muß unter dem Aspekt der Machttechnik, d. h. des Regierungsstils und der Mechanismen der Herrschaftssi-cherung, erörtert werden. Der Nachweis einer totalitären Herrschaftsordnung für die Periode zwischen Februar 1934 und März 1938 wäre eine wesentliche Voraussetzung für die Aussage, daß sich in Österreich die faschistische Bewegung (gemeint sind die Heimwehren) in ein faschistisches System umgesetzt hat“ (12).

Danach legt er die entsprechenden Kategorien an den österreichischen Ständestaat als Maßstab an. Dabei ergibt sich ihm „ein durchaus widersprüchliches Bild“, das er im einzelnen darlegt. Zuerst erläutert er, was für eine Anwendung des Begriffs „Austrofaschismus“ spricht, und verweist z. B. auf die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie, den militanten Antimarxismus, die Zerschlagung der freien Arbeiterbewegung in Österreich. In weiterer Folge sieht er sich aber genötigt, festzustellen: „Die augenfälligen Unterschiede scheinen jedoch gewichtiger. Die Selbstregulation weiter gesellschaftlicher Bereiche wurde im Kern nicht angetastet.“

Holtmann fährt fort: „Freiräume existierten auch in der privaten

Autoritäres, nicht totalitäres Regime

Sphäre. Offiziell tolerierte das Regime sogar eine abweichende politische Gesinnung. Die klerikale Färbung des Programms der .Erneuerung' Österreichs förderte zwar Tendenzen geistiger Bevormundung und Indoktrination, festigte aber zugleich gewachsene soziale und kulturelle Bindungen, zum Beispiel im Bereich der Familie und Religion, und setzte somit einer totalstaatlichen Erfassung des einzelnen Grenzen“ (14).

Holtmann fährt fort: „Der Machtüberhang des im politischen Katholizismus verwurzelten Dollfußflügels führt schon in der Phase der Entfaltung des Regimes zu einer lediglich partiellen Identität von ,Staatspartei' und faschistischer Bewegung ... Die Heimwehr besetzte zwar eine Anzahl wichtiger Posten, aber sie hat sich der VF nie ganz bemächtigen können. Umgekehrt war die VF noch weit weniger als die NSDAP je imstande, Rivalitäten zu glätten und Machtkonflikte einzuebnen, die in ihren Reihen von den unterschiedlichen Personen, Cliquen und Gruppierungen ausgetragen wurden.“

„Der faschistische und totalitäre Charakter des Ständestaates muß demnach bezweifelt werden“, schreibt Holtmann. „Es läge nahe, Dollfuß-Österreich als autoritären' Staat zu bezeichnen; nicht mehr nur dem selbständigen Etikett zufolge, sondern auch angesichts einer ersichtlichen Tendenz zur bloßen .Vereinheitlichung und Verschärfung des

Staatswillens', in der Dietrich Bracher und ähnlich auch Hans Buchheim ein charakteristisches Merkmal dieses Staatstypus sehen“ (15).

Holtmann, der seine Erkenntnisse mit zahlreichen Anmerkungen und Hinweisen auf Archivalien und einschlägige Werke untermauert, meint freilich, daß man die „Herrschaftspraxis der Regierung Dollfuß und Schuschnigg ... in einzelnen Bereichen (noch) gründlicher erforschen“ müsse. Nach weiteren Analysen und Vergleichen (z. B. ist das NS-System imperialistisch, forcfert die Kriegswirtschaft, zeigt eine aggressive, selbstzerstörerische Dynamik) betont er abschließend, daß demgegenüber „im Ständestaat weder eine Wechselbeziehung zwischen außen-

politischer Krise und sozialpolitischen Zwangsmaßnahmen noch eine Militarisierung des Arbeitslebens, die letztendlich den Terror zum unentbehrlichen Erziehungsmittel des Arbeitsalltags machte, erkennbar ist“ (17).

Daß er selber auf Grund seiner eigenen Untersuchung überzeugt davon ist, daß für das Dollfuß-Schu-schnigg-Regime 1934-1938 der Begriff „Austrofaschismus“ wissenschaftlich nicht gedeckt ist, ergibt sich schon daraus, daß er, zweifellos wohlüberlegt, den Untertitel seiner Forschungsarbeit seinen Erkenntnissen gemäß formulierte: „Sozialistische Arbeiterbewegung und autoritäres Regime in Österreich 1933-1938.“

Er macht kein Hehl daraus, wo sein Herz steht, wenn er am Ende als Fazit seiner Arbeit formuliert:

„... Daß sich im Lager der Linken, von reformistischen bis weit in linkssozialistische Kreise hinein, der Trugschluß wiederholte, die konservative Seite besitze genügend Einsicht, einem Minimum an Demokratie als Voraussetzung für eine antinationalsozialistische Allianz zuzustimmen, ging 1938 noch weniger zu Lasten derer, die ihm erlegen sind. Noch zwingender notwendig als vor dem 12. Februar 1934 schien vor dem 12. März 1938 ein rechtzeitiges Einlenken der Regierung. Aber wie im Vorfebruar 1934 blieben auch im Vormärz 1938 die linkskatholischen Kompromißbemühungen ohne eine hinreichende Legitimation der autoritär Herrschenden; diese zogen das antimarxistische Bündnis mit wechselnden Faschismen einer Öffnung nach links vor“ (301 f).

Man wird zugeben müssen, daß diese Feststellungen nicht ohne Wahrheitskern sind. Fatal für Österreich war: Auf zu vielen Seiten herrschte damals Verblendung!

ZWISCHEN UNTERDRÜCKUNG UND BEFRIEDUNG (Sozialistische Arbeiterbewegung und autoritäres Regime in Osterreich 1933—1938), von Everhard Holtmann, Hsg. Rudolf Neck und Adam Wandruszka, Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1978, 328 S., öS 360,-.

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