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Ungarn: Ein kalter Nachruf

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Über zwölf Stunden hat der christlich-nationale Regierungschef Jozsef Antall gebraucht, um die Übersetzung der Bush-Rede zu lernen, die er dann vor den TV-Kameras als die eigene Stellungnahme zum Sturz Gorbatschows getreu wiedergab. In einem Punkt präsentierte er allerdings eigenes Profil. Gott sei Lob, sei es nicht Gorbatschow, sondern Janajew gewesen, der das Dokument über die Auflösung des Warschauer-Paktes unterzeichnet hatte.

In ihrer ungezügelten Amerika-Euphorie haben Ungarns führende Politiker bereits während der Baltikum-Krise vergessen, daß sie ohne Michail Gorbatschow, dem Antall bereits am ersten Tag des Putsches einen kalten Nachruf nachschickte, auch heute noch in verschiedenen Geschichtsinstitutionen als drittrangige Mitarbeiter Bibliotheken hüten könnten. Vergessen ist auch all das, was die Regierungen der freien Welt - mit Ausnahme des damals lediglich auch nur „bestürzten" Weißen Hauses - im Herbst 1956 über Ungarn sagten. In der Medizingeschichte, deren Meister Antall wohl ist, steht freilich wenig über die damaligen Äußerungen der österreichischen Bundesregierung. Es hätte aber auch nicht geschadet, wenn das Budapester Krisenkabinett wenigstens diesmal sein Augenmerk auf sie gerichtet hätte. Manchmal kann man auch in der unmittelbaren Nachbarschaft politischen Charakter lernen, selbst wenn von da aus weit weniger Investitionen in Sicht gestellt werden als aus Übersee.

Was Antall und seine Mannschaft befürchten, sprechen sie freilich nicht aus. Es geht darum, daß die Regierung bis zur Gegenwart nicht der Loyalität von Armee und Sicherheitskräften sicher sein kann. Ein Versäumnis, das nachzuholen Gebot der Stunde bleibt.

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