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Völkerrecht spielt entscheidend mit

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Vielen wird es wenig einleuchten, wenn man angesichts der bevorstehenden eidgenössischen Abstimmung vom 24. September 1978 über die Bildung eines neuen (23.) schweizerischen Kantons, des Kantons Jura (Re-publique et Canton du Jura) vom Selbstbestimmungsrecht der Völker spricht. Vor allem die schweizerischen Völkerrechtler lehnen so etwas ent-schiederi ab und erklären, die Gründung des Kantons Jura sei eine rein interne Angelegenheit der Schweiz und habe mit Völkerrecht nichts zu tun.

Das ist zugleich richtig und falsch. Richtig ist, daß die Bildung eines neuen Kantons innerhalb der Schweiz (erstmals seit dem 1848 eingerichteten Verfassungs- und Regierungssystem und von geradezu ungeheurer Bedeutung innerhalb der Konstanten der Eidgenossenschaft) auf Grund schweizerischen innerstaatlichen Rechts, zuerst bernischen Verfas-süngsrechts und jetzt, wenn die Volksabstimmung der Kantonsgründung die endgültige Rechtsgrundlage gibt, des Bundesverfassungsrechts erfolgt. Die Völkerrechtsgemeinschaft hat damit formell nichts zu tun. Aber Völkerrecht spielt entscheidend herein.

Als am 1. März 1970 im ganzen Kanton Bern über einen Zusatz zur Staatsverfassung des Kantons Bern hinsichtlich des jurassischen Landesteiles abgestimmt wurde, war nach der Botschaft des Großen Rates des Kantons Bern hinsichtlich dieses Zusatzes ausdrücklich erklärt worden: Mit der Annahme des Verfassungszusatzes wird der Bevölkerung des Jura - soweit dies vom Kanton Bern abhängt - das „eigentliche Selbstbestimmungsrecht“ zuerkannt. Und in allen weiteren amtlichen Erklärungen dazu wurde immer wieder betont, daß den Jurassiern das Selbstbestimmungsrecht gewährt würde.

Selbstbestimmungsrecht ist aber ein Begriff des Völkerrechts (Artikel 1 der beiden Weltpakte der Menschenrechte, Schlußakte der KSZE von Helsinki). Was immer zur Ausübung eines solchen Selbstbestimmungsrechts an Voraussetzungen beigebracht werden muß, entstammt völkerrechtlichen Begriffen und Denkkategorien; etwa daß die selbstbestimmungsberechtigte Bevölkerung „in Freiheit“ (freely) über ihren politischen Status zu entscheiden hat.

Es handelt sich im Falle des Berner Jura freilich nicht um das extreme Selbstbestimmungsrecht in Form eines Gebiets- und Souveränitätsüber-ganges auf einen anderen oder einen eigenen souveränen Staat. Es gibt aber eben völkerrechtlich auch das interne Selbstbestimmungsrecht, wonach die selbstbestimmungsberechtigte Bevölkerung (stets eine ethnische Minderheit, also Volksgruppe) sich entscheiden kann, ob sie es beim bisherigen Zustand belassen oder eine (meist territoriale) Autonomie oder auch einen Gliedstaat (Kanton, Land, autonome Provinz) in einem Bundesstaat erlangen will.

Da allen Völkern (im ethnischen Sinne) nach den Welt-Menschenrechtspakten wie auch nach der Schlußakte von Helsinki das Recht auf Selbstbestimmung zusteht, und das Recht auf Selbstbestimmung heute kaum noch von der Staatengemeinschaft bestritten wird (auch wenn viele Staaten dagegen verstoßen), kann es sich nur noch darum handeln, ob das interne Selbstbestimmungsrecht genügt. Dies muß bejaht werden denn dieselbe Schlußakte der KSZE verbietet ja erzwungene Grenzänderungen (Festschreibung der Staaatsgrenzen in Europa) als friedensgefährdend. Der Jura könnte also ohne Zustimmung der Schweiz nicht an Frankreich angeschlossen werden. (Ob Frankreich das wollte, ist sowieso fraglich.)

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