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Jura: Los von Bern?

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In der Schweizer Presse konnte man In der letzten Zeit Meldungen der folgenden Art lesen:

, „Angehörige des .Front de Liberation Jurassien' (FLJ), der Jurassischen Befreiungsfront', haben in Bourrignon eine Militärbaracke in

Brand gesteckt. Der Holzbau brannte vollständig aus. Nur die Grundmauern stehen noch. In großen Buchstaben steht darauf in roter Farbe das Zeichen ,FJL': Neben dem Zeichen wurde die Bezeichnung .Zone 3' entdeckt, was darauf schließen läßt, daß die jurassische Untergrundbewegung in Gruppen operiert, von denen jede für ein bestimmtes Gebiet verantwortlich zeichnet.“

Die Jurassische Befreiungsfront“ begeht ihre Anschläge bei Nacht und Nebel nach Macquis-Art. Manches erinnert an ihrem Vorgehen an den algerischen FLN oder die französische OAS unseligen Angedenkens. Fraglich, und für die Behörden von erstrangigem Interesse ist, wie weit führende Kreise der sogenannten „Rassemble-ment dur Peuple Jurassien“, der jurassischen Separatistenbewegung, welche die Abtrennung des Juras vom Kanton Bern verlangt, mit den „Helden“ der Befreiungsfront solidarisch sind. Diese Frage ist darum berechtigt, weil der Sekretär der Separatistenbewegung, Roland Beguelim, schon wiederholt im benachbarten Ausland Unterstützung für seine Sache gesucht und mehr oder weniger offen mit Gewalt gedroht hat. Letztes Jahr hielt er in Paris eine Rede, in der er behauptete, daß das „jurassische Volk“ unter dem fremden Joch der Berner leide und gewaltsam germanisiert werde.

Was wollen sie?

Das „Rassernblement du Peuple Jurassien“, die Separatistenbewegung des Jura, bezweckt die Loslösung der sieben jurassischen Amtsbezirke aus dem bernischen Kanton und die Schaffung eines eigenen, neuen Kantons Jura. Da die schweizerische Bundesverfassung den Bestand der Kantone garantiert, bedürfte ihr Begehren nicht nur der Zustimmung der Mehrheit des Berner Volkes, sondern darüber hinaus auch der Sanktionierung durch die Mehrheit von Volk und Kantonen in einer gesamtschweizeri-

sehen Volksabstimmung. Eine solche Zustimmung zu erhalten, ist unter den gegebenen Umständen ziemlich aussichtslos.

Wenn die Separatisten trotzdem an ihren integralen Zielen festhalten, so zeigt das, wieviel Irreales und Irratio-

nales im Separatismus wirksam ist. Das geht auch daraus hervor, daß die Separatisten immer wieder den imaginären Begriff der „jurassischen Einheit“, der „jurassischen Seele“, des „jurassischen Volkes“ beschwören und eine jahrhundertealte Vergangenheit, die 1815 mit dem Anschluß an den Kanton Bern abgebrochen wurde, zum Zeugen für ihre Sache anrufen. Nicht ganz zu Unrecht: denn die Jurassier sind wirklich keine Berner wie andere.

Es begann auf dem Wiener Kongreß

Am Beginn der Jura-FTage steht ein Entscheid des Wiener Kongresses von 1815. Der Kongreß hat den Jura, der bis dahin dem souveränen Bistum Basel angehört hatte, zum Kanton Bern geschlagen. Dies war gewiß nicht staatsmännischer Weisheit letzter Schluß, denn vor allem die nördlichen Jurassier sind aus ganz anderem Holz geschnitzt als die Alt-Berner. Die Alt-Berner haben zudem allzu lange das neugewonnene Gebiet mit sehr wenig Gespür für die Besonderheit dieser eigenartigen Landschaft und ihrer noch eigener gearteten Bevölkerung behandelt. Wäre man in Bern im 19. Jahrhundert nur zu einem Teil der Konzessionen bereit gewesen, die man nun in den fünfziger und sechziger Jahren dieses Jahrhunderts unter dem Druck der separatistischen Opposition gewährt, wäre die Integration dieses Fremdkörpers in das bernische Staatswesen vermutlich geglückt. So aber kam es schon in den ersten Jahrzehnten, namentlich im katholischen Nord-teil des Iura zu Revolten, die zur Zeit des Kulturkampfes in offene Feindschaften ausarteten. Die Behandlung der jurassischen Katholiken zu jener Zeit ist ein dunkles Blatt in Berns stolzer Geschichte; sie ist im Jura bis heute unvergessen geb'ieben, zumal der Abbau der katholikenfeindlichen Schikanen sehr langsam und zöeernd vor sich gine. Es dauerte zum Beispiel bis 1917, bis den katholischen Gemeinden relioijise Prozessionen- zugestanden wurden!

Gründe und Hintergründe

Die jüngste und zugleich nachhaltigste separatistische Welle, die bis heute nicht abgeebbt ist, wurde 1947 durch die sogenannte Affäre M ö c k 1 i ausgelöst. Möckli war damals jurassischer Vertreter im Regierungsrat (soviel wie kantonales Ministerium). Sein Wunsch nach einem Ressortwechsel, dem seine Ministerkollegen beigepflichtet hatten, wurde vom kantonalen Parlament in beleidigender Weise übergangen, was der Jura als Demütigung empfand. Die Affäre bildete den Anlaß zum offenen Ausbruch einer Mißstimmung, die seit einiger Zeit

geschwelt hatte. Sie gab den „Ultras“ unter den separatistisch Gesinnten Oberwasser. Bald stellte es sich heraus, daß diese nicht mehr durch Konzessionen zu beschwichtigen waren und selbst großzügiges Entgegenkommen nur mit Hohn quittierten. Zunächst schien es, daß die Mehrheit der jurassischen Bevölkerung ihrer Forderung nach Austritt aus dem bernischen Staatsverband und Gründung eines eigenen Kantons Jura anhänge. Namentlich die von der Separatistenbewegung ins Leben gerufenen „Feste des jurassischen Vol-

kes“, die jedes Jahr in Delsberg (Delemont) durchgeführt wurden, entfalteten eine greße Anziehungskraft, und die bei diesen Gelegenheiten von der Masse gefaßten Resolutionen blieben im Schweizerland herum nicht unbeachtet.

Was werfen eigentlich die Separatisten den Alt-Bernern vor? Warum wollen sie mit ihnen nicht mehr unter dem selben Dach sein? Es gibt dafür rationale und irrationale Gründe. Um die irrationalen vorwegzunehmen: Im Jura ist die Erinnerung an die Zeiten, als das Land einen selbständigen Staat bildete, immer lebendig geblieben. Die Zugehörigkeit zum Bistum Basel hat die Volksseele mitgeprägt, und zwar

in einer der bernisch-protestantischen Art gegenläufigen Weise — mindestens in den nördlichen Bezirken, die ohnehin auch verkehrsweise und wirtschaftlich eher nach Basel orientiert sind. Die unterschwellig-gefühlsmäßige Differenz zu Bern hat ihre Wurzeln in der Wesensverschiedenheit der beiden Volksteile. Ein guter Kenner der Dinge sagt darüber: „Der bernischen Stetigkeit, Zähigkeit, Behäbigkeit, der gouvernementalen Gesinnung und dem Korpsgeist der Alt-Berner steht im Jura vielfach ein äußerst individualistisches, gallisch aufbrausendes und eigensinnig trotziges Welschtum gegenüber, das dazu neigt, sich in seiner Minderheitsstellung am selbstsicheren, beständigen alt-bernischen Koloß wundzureiben. Es ist bezeichnend, daß im Jura der Anarchismus des 19. Jahrhunderts Anhänger fand.“

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