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Im Jura schießt man tschechisch

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Die Schweiz schleppt seit Jahrzehnten ein Irredenta-Problem mit sich, das zu dem internationalen Image der friedlichen Alpenrepublik mit ihren ko-existierenden Sprach- und Religionsgemeinschaften nicht passen will. Das Problem geht auf den Wiener Kongreß von 1815 zurück, also auf just jene Regelung der europäischen Machtverhältnisse, durch einem Staatenbund — die immer- »währende Neutralität garantiert wurde. In Wien bekam der Kanton Bern, der die ihm früher gehörenden Landesteile Aargau und Waadtland in die Selbständigkeit entlassen mußte, als Entschädigung ein Gebiet im Jura zugesprochen, das früher im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation Territorium des Bistums Basel gewesen war: zum Unterschied von der fast ausschließlich deutschsprachigen und reformierten Bevölkerung des alten Berner Kantonsteils waren die Jurassier überwiegend französischsprachig und katholisch, mit einer deutschsprachigen Wiedertäufer-Enklave. Es hat im vorigen und in diesem Jahrhundert manches Unrecht gegeben, dessen ich sieurs de Bernet) gegenüber dem Jura schuldig gemacht haben: doch sind alle konkreten Tatsachen der Benachteiligung des Jura besonders in letzter Zeit aus der Welt geschafft worden, die jurassische Bevölkerung ist im Kanton Bem vollkommen gleichberechtigt.

Nun ist am 18. Oktober bekannt geworden, die Regierung habe am 30. Juli — also vor dem schweizerischen Nationalfeiertag am 1. August — das Eidgenössische Militärdepartement (Verteidigungsministerium) zur Bereitstellung von Truppen „zum Schutze von Bundeseigentum“ im Jura ermächtigt. Diese vorsorgliche Maßnahme erscheint durchaus berechtigt, da die separatistische Jugendgruppe „Belier“ schon mehr als inmijmitte.Amtät entfaltet hat.

In der Sackgasse

Schlimm steht es freilich um die Geisteshaltung unter den Jura- Separatisten selber. Sie haben verlautbart, daß „wegen der militärischen Besetzung des Jura“ eine eidgenössische Vermittlung — das heißt eine Verhandlung mit den Berner Kantonsbehörden durch die Kanäle ,der genannten Kommission — für sie nicht mehr akzeptabel sei. Sie kündigen an, sie wollten sich nunmehr an internationale Organisationen (Europarat, Haager Schiedsgericht, Vereinte Nationen?) wenden, da „die schweizerischen Behörden nach dem Vorbild der Russen in der Tschechoslowakei von ihren Sturmgewehren, Kanonen und Panzern Gebrauch machen, um ein Volk einzuschüch- tem, dessen einziges Vergehen es ist, die Freiheit zu lieben und einen 23. Kanton bilden zu wollen …“ Eine der interessantesten und vielzitierten „mittleren“ Zeitungen der Schweiz, „Der Landbote“ in Winterthur, bemerkt dazu: „Uber die groteske Maßlosigkeit, die im Vergleich j mit der Vergewaltigung der Tschechoslowakei enthalten ist, sind keine

W’öftfeäi’’:Veriieife41i?-hber sie erscheint- uns als ein Symptom des bewußten Isolationsstrebens der Separatisten. Die Ankündigung, mit den eigenen Ansprüchen vor internationale Körperschaften zu treten, liegt ebenfalls auf dieser Linie: auf der Linie einer konsequent verfolgten, unweigerlich in eine Sackgasse führenden Politik.“

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