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Tyrannis in der Schweiz?

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Vor Wochen hat im Kanton Bern eine Serie von Abstimmungen begonnen, die alle das jurassische Problem zum Inhalt haben. Kaum ein anderes innerschweizerisches Thema ist so geeignet wie dieses, das Image der Eidgenossenschaft nach außen zu beeinträchtigen, der erste erfolgreiche Schritt auf dem Weg einer Flurbereinigung wird darum im ganzen Land begrüßt: sämtliche 30 Amtsbezirke des Kantons Bern, darunter auch die sieben jurassischen, haben einen Zusatz zur Staatsverfassung gutgeheißen, der dem jurassischen Landesteil volle Selbstbestimmung zuerkannt und eine friedliche Beilegung des Konfliktes ermöglichen soll.

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Vor Wochen hat im Kanton Bern eine Serie von Abstimmungen begonnen, die alle das jurassische Problem zum Inhalt haben. Kaum ein anderes innerschweizerisches Thema ist so geeignet wie dieses, das Image der Eidgenossenschaft nach außen zu beeinträchtigen, der erste erfolgreiche Schritt auf dem Weg einer Flurbereinigung wird darum im ganzen Land begrüßt: sämtliche 30 Amtsbezirke des Kantons Bern, darunter auch die sieben jurassischen, haben einen Zusatz zur Staatsverfassung gutgeheißen, der dem jurassischen Landesteil volle Selbstbestimmung zuerkannt und eine friedliche Beilegung des Konfliktes ermöglichen soll.

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Es wäre eine Übertreibung, zu behaupten, daß im nordwestlichen Teil des Kantons Bern, eben dem französischsprachigen Jura, seit 1815 bereits Unruhe schwelte. Auch unter der Herrschaft des Bischofs von Basel, dem das Gebiet bis zum Wiener Kongreß gehörte, waren die Welschen nur eine Minderheit und rebellierten nicht. Aber seit zehn Jahren etwa rumort es: unter kräftiger Schützenhilfe extremistischer Politiker entdeckten die Jurassier plötzlich, was man andernorts in der Schweiz auch bereits vermerkt hatte: das Vorrücken der Deutschschweizer. Im Kanton Genf, im Tessin, im Waadtland ist es das gleiche. Die wirtschaftliche Ballung im Raum Zürich und Basel hat ihre Folgen für das ganze Land — und jeder, ob französisch- oder italienischsprachig, hat seinen Nutzen davon. Jetzt aber hieß es im Jura: wir werden tyrannisiert! Das ganze Vokabular, das östliche Propagandisten gegen die ehemaligen Kolonialmächte anwenden, wurde plötzlich den verdutzten Bernern entgegengeschleudert. Bern reagierte verständlich und unterdrückte, hie und da sogar mit harter Hand, die aufflammenden Proteste, deren Lautstärke in keinem Verhältnis zu dem inkriminierten Objekt standen. Als sogar Militäreffekten verbrannt und Sabotageakte durchgeführt wurden, war die Geduld nicht nur der deutschsprachigen Kantonsbewohner, sondern auch vieler Jurassier am Ende. Ein deutliches Zeichen dafür ist das Votum der ersten Abstimmung, die bei einer Stimmbeteiligung von 38% mehr als 90.000 Befürworter und nur 14.000

Gegner der geplanten Neuregelung fand. Bemerkenswert ist dabei, daß selbst in den sieben betroffenen Bezirken des Jura kein größeres Mehr an Ja-Stimmen als in den deutschsprachigen Landesteilen erzielt wurde. Man ist sich einig: so geht es nicht weiter!

Daß die Agitatoren mit dem Ergebnis am wenigsten zufrieden waren, zeigt ihre Reaktion am Morgen nach dem Wahlergebnis: der Kampf um die Separation geht weiter, lautete ihre Parole. Damit wird die Serie von Abstimmungen, die nun folgen müssen, bereits im voraus um ihren Kredit gebracht, und es wird noch mancher Geduldsbeweise der deutschsprachigen Berner, die sich in der zugeschanzten Rolle von Kolonialherren einigermaßen sonderbar vorkommen, bedürfen. Jetzt steht in weiteren Volksbefragungen zur Debatte, ob der gesamte Landesteil oder nur einige Gebiete daraus einen neuen Kanton bilden oder sich einem anderen anschließen wollen. Soweit man sieht, wäre keiner der Nachbarn über diesen Zuwachs sehr glücklich, so daß der eigene Kanton immer noch die beste Lösung wäre, wenn es der Kantonsregierung nicht gelingt, die Abtrünnigen durch größere Autonomie zum Bleiben zu veranlassen. Bern ist weiter zu guten Diensten bereit — wobei „Bern“ hier zugleich als Sitz dar Kantons- wie der Bundesregierung verstanden werden muß.

Ein Sturn im Wasserglas — so werden viele urteilen. Gewiß, auch den Schweizern ist nicht recht behaglich dabei. Aber das Recht auf kulturelles und religiöses Eigenleben wird als so hohes Gut betrachtet, daß selbst Querulanten sich damit noch eine Chance errechnen können. Daß auch die Schweiz die Synthese von vier Sprachen und Kulturen immer neu vollziehen muß, zeigt das jurassische Problem deutlich.

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