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Die Schweiz und ihre, Kummerbuben6

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Während Jahrzehnten war es in der Schweiz ein dominierendes innenpolitisches Thema und - etwas abgeschwächt - ist es noch immer eines: das Jura-Problem.

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Während Jahrzehnten war es in der Schweiz ein dominierendes innenpolitisches Thema und - etwas abgeschwächt - ist es noch immer eines: das Jura-Problem.

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Weit weniger Aufsehen als die spektakuläre Geiselbefreiung in der polnischen Botschaft in Bern dürfte in der österreichischen Öffentlichkeit eine Aktion junger französischsprachiger Schweizer in Wien gefunden haben, die mit der Besetzung eines Saales im ehrwürdigen Schloß Schönbrunn auf ihr politisches Anliegen aufmerksam machen wollten. Die rasch erledigte Affäre lohnt aber doch einen Blick auf die Hintergründe des Jura-Problems.

Die fünf ,3esetzer”, die sich am 10. September im Schloß Schönbrunn einer offiziellen Führung angeschlossen hatten und sich dabei in jenem Saal verbarrikadierten, in dem 1815 die Schlußakte des Wiener Kongresses unterzeichnet wurde, wollten vor einem internationalen Forum auf den „historischen Irrtum” aufmerksam machen, der das Gebiet des damaligen Fürstbistums Basel im nordwestlichen Zipfel der heutigen Schweiz dem mächtigen Kanton Bern zuschlug.

Doch diese „Zwangsehe” Bern-Jura brachte viel Ungemach. Die französischsprachigen Jurassier unterschieden sich mentalitätsmäßig zu sehr von den stolzen und behäbigen Bernern, die kaum je den Zugang zu ihren neuen Kantonsgenossen fanden. In verschiedenen Separationswellen kämpften die Jurassier gegen Bern und wollten die Unabhängigkeit eines eigenen Kantons.

Am schärfsten zeigten sich die Gegensätze während des Kulturkampfes in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als auch noch die unterschiedlichen konfessionellen Uberzeugungen den Konflikt akzentuierten.

Ein letzter und teilweiser erfolgreicher Kampf um Unabhängigkeit begann 1947, als die Berner die Jurassier erneut schwer brüskierten. Damals entstand das

„Rassemblement jurassien” als überparteiliche und überkonfessionelle Organisation, der zu Blütezeit gegen 20.000 militante Jurassier angehörten, die von Roland Beguelin, einem „Berufsrevolutionär” und charismatischem Chefideologen, straff geführt und zu immer wieder neuen Kampfaktionen gegen das verhaßte Bern angestachelt wurden.

Verschiedene Vermittlungsbemühungen scheiterten; immer stärker wurde die „Los von Bern”-Bewegung, und der betroffene Kanton Bern agierte meistens höchst ungeschickt und schüttete noch mehr öl ins Feuer.

Auch die Eidgenossenschaft mußte sich einschalten, und in den siebziger Jahren kamen die Jurassier ihrem Ziel immer näher, als Bern sich genötigt sah, mit Plebisziten die Meinung der Jurassier zu erforschen und die Konsequenzen zu ziehen.

Dabei zeigte sich erwartungsgemäß ein Graben zwischen dem südlichen (protestantischen) und dem nördlichen (katholischen)

Teil des Juras. Im ganzen französischsprachigen Landesteil Berns kam es in einem ersten Plebiszit zu einem knappen Ja, in einem zweiten Urnengang beschlossen aber die drei südlichen Amtsbezirke, sich einem neuen Kanton Jura nicht anzuschließen. Der Anteil der Separatisten betrug rund ein Drittel.

Das Schweizer Volk segnete diese erste Kantonsgründung der Geschichte des Bundesstaates seit 1848 im September 1978 mit überaus deutlichem Mehr ab.

Der Kanton Jura war entstanden. Er schuf eine moderne modellhafte Verfassung, wählte die Behörden aller Stufen und gab sich alle Elemente der Staatlichkeit.

Doch der harte Kern der Separatisten fand sich nicht mit dem Plebiszit-Verdikt ab, der nur einen Teil des ehemaligen Fürstbistums Basel von Bern loslöste. Beguelin und seine Getreuen gaben die Parole „La lutte conti-nue” (der Kampf geht weiter) bis zur völligen Befreiung aller jurassischen Gemeinden von Bern aus.

In diese „zweite Etappe” ist die Aktion der Jungseparatisten von Wien einzuordnen. Die Beliers (Rammböcke) sorgten als Jugendorganisation des Rassemblemen ts schon seit zwei Jahrzehnten immer wieder für spektakuläre und provozierende Aktionen, um das Interesse am Jura-Problem wachzuhalten. Sie wurden die „Kummerbuben” der Nation, und mit ihren Aktionen gerieten sie immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt.

So störten sie 1967 den hochfeierlichen Diplomatenempfang in der Bundeshauptstadt, besetzten (friedlich) eine Bezirkspräfektur und drangen in den Nationalratssaal ein, wobei es zu Handgreiflichkeiten kam. Aber auch Tramschienen wurden zugeteert, mit Ziegelsteinen Eingänge öffentlicher Gebäude verbarrikadiert usw.

Nach längerer Abstinenz während der Kantonsgründung haben sich die Beliers in jüngster Zeit wieder militanter gezeigt, um darauf aufmerksam zu machen, daß das Jura-Problem erst gelöst sei, wenn der ganze Jura sich von Bern getrennt habe.

Dabei wird — zum Mißvergnügen der offiziellen Schweiz und immer mehr auch eines bedeutenden Teils der Jurassier seloer — Internationalität gesucht (auch Straßburg und Paris waren schon Schauplätze von Aktivitäten). Schönbrunn war also nur ein Glied einer Kette.

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