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Gewitter über Bern

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Uber der Stadt Bern und dem „Bernbiet“ sind in den letzten August- und ersten Septembertagen rweimal schwere Gewitter niedergegangen. Nicht nur meteorologische, sondern auch politische. Die politischen trafen einmal das kantonale und das andere Mal das eidgenössische Bern, beide Male aber ge riet der Schweizer Wehrminister, Bundesrat Chaudet, in einen wahren Wolkenbruch.

Die Schande von Les Rangier

Was hat das gemächliche Bern in einer einzigen Woche gleich zweimal so erschüttert, daß die Schweizer Presse zu den fettesten Schlagzeilen greifen mußte? Das eine Mal wurde Helvetien aufgeschreckt durch einen Tumult und eine Kampfweise, die man in diesem Land der Ordnung für unmöglich gehalten hatte, das andere Mal durch einen erschütternden Untersuchungsbericht. Beide Vorfälle offenbaren eine Vertrauenskrise, die den Eidgenossen zu denken gibt.

Um die Dinge der Reihe nach zu erzählen: am letzten Augustsonntag sollte zu Füßen des Soldatendenkmals auf der Jurahöhe von Les Rangiers, wie anderorts auch, eine sogenannte Mobilisationsfeier stattfinden, die der Verschonung des Landes in zwei Kriegen dankbar gedenken und die Veteranen, die damals an der Grenze gewacht hatten, zusammenführen sollte. Als offizielle Redner waren der bernische Militärdirektor Menne, selber ein Sohn des Juras, und der schweizerische Wehrminister, Bundesrat Chaudet, begrüßt worden. Aber die jurassischen Seperatisten, die den Jura vom Kanton Bern abtrennen wollen (Vgl. „Die Furche“ Nr. 20/1963), opponierten mit dem Argument, Moine sei ein Verräter, der mitschuld sei, daß der Jura immer noch unter dem „Berner Joch“ schmachte, und Chaudet sei ein Feind des Juras, der dort nicht sprechen dürfe, weil er gegen einheimische Opposition im Jura einen Waffenplatz schaffen will. Mit gehässigen Aufrufen wurde der separatistische Anhang nach Les Rangiers beordert. Man sah dem

Tag im Schweizerland besorgt entgegen, aber Bern verzichtete auf einen wirksamen Ordnungsdienst, um die Separatisten nicht zu erzürnen. Man vertraute trotz ihrer Drohungen auf ihren Bürgersinn — und täuschte sich darin gründlich.

Was die Separatistenführer in Les Rangiers inszenierten, wurde von der ganzen Schweiz als unerhörte Herausforderung empfunden, ja als eine nationale Schande. Man verzeiht es in Helvetien niemandem, wenn er einen Andersdenkenden nicht zu Worte kommen lassen will oder die öffentliche Ordnung untergräbt. Beides geschah, von einer überlegten Regie gesteuert, in Les Rangiers. Die beiden magistralen Redner wurden nach offensichtlichem Plane eingekreist, verhöhnt, am Sprechen gehindert und tätlich belästigt. Zudem wurden Veteranen im Wehrkleid angepöbelt. Nicht genug damit: in seinem Übermut wandte sich der Separatistenführer Bėguelin nach dem „Sieg“ über die rechtmäßige Ordnung noch an die Pöbler, beglückwünschte sie zu ihren Untaten und forderte sie auf, am

11. September am Berner Tag der Lausanner Expo zu einer weiteren Gegenaktion gegen eine offizielle Feier anzutreten. Zweifelsohne glaubte er in seinem Siegestaumel, in Lausanne zu einem ähnlichen Erfolg zu gelangen.

Der „kleine Goebbels“ aus dem Jura, wie er nach dieser Rede von einigen Zeitungen apostrophiert wurde, hat allerdings diese Expo- Rechnung ohne den Wirt gemacht. Einmütig fordert die Presse die Verhinderung eines zweiten Les Rangiers und die Bestrafung der für die Ausschreitungen verantwortlichen Aufwiegler. Die Landesregierung hat inzwischen auch bereits die Strafverfolgung der Schuldigen in die Wege geleitet. Mit dem Ergebnis, daß nun die Separatistenführer die eigenen Artikel, Ordern, Erklärungen und Communiques, die sie im Hinblick auf Les Rangiers und dort selbst lautstark von sich gaben und die sich nun gegen sie selber wenden, nur allzu gerne vergessen machen möchten.

Die Berner selber, denen der Geduldsfaden nun vollends gerissen ist, machen Miene, mit den Separatisten auch die ändern Südjurassier in einen Topf zu werfen. Die Berner Regierung ließ nach dem Tumult in einer Erklärung durchblicken, es sei jetzt definitiv Schluß mit allen Konzessionen, selbst den schon in Kraft stehenden — womit sie niemandem einen Dienst leisten würde als den .. Separatisten! In der übrigen Schweiz wird daher Bern vor derartigen Kurzschlüssen gewarnt. Die Mehrheit der Jurassier darf nicht mit den Separatisten und noch weniger mit ihren heutigen Führern in einen Topf geworfen werden. Man ist sich in besonnenen Kreisen darüber einig, daß das Gespräch zwischen Bern und dem Jura wieder in Gang gebracht und von mutwilligen Demagogen absichtlich zerstörte Vertrauen wieder hergestellt werden muß; denn eine vernünftige Lösung läßt sich ja doch nur im Rahmen des Kantons Bern finden, weil die Separatisten einzig in den abgelegenen nordjurassischen Bezirken über einen großen Anhang verfügen, dieweil die südjurassischen Bezirke und das Laufenthal (welche beiden von den Separatisten großzügig für ihren neuen Kanton beansprucht werden, da er sonst nicht lebensfähig wäre!) großmehrheitlich bei Bern bleiben wollen und das separatistische Rezept ablehnen. Das Nötigste wird vorerst sein, dem Volk des Nordjura plausibel zu machen, daß die Separation von den Separatisten in seinem eigenen Interesse liegt.

Wie wir den Lesern der „Furche“ bereits früher dargelegt haben, hat der Streit um das 1961 beschlossene und in einer Hunderterserie bestellte französische Kampfflugzeug „Mirage“ zu einer innenpolitischen Krise geführt. (Vgl. „Die Furche“ Nr. 22/ 1964). Seit mehr als einem Jahr schwelte sie. Gerüchteweise verlautete, daß die ursprünglichen Kosten von rund 870 Millionen, denen das Parlament seinerzeit zugestimmt hatte, sich weit über eine Milliarde erhöhen, wenn nicht gar verdoppeln werden. Daß sie sich mindestens verdoppeln würden (nicht mehr: werden), das steht nun heute einwandfrei fest. Diese immer wieder verzögerte und verhinderte Abklärung der Mirage-Kosten, welche das Zumutbare für einen Kleinstaat zweifelsohne bei weitem übersteigen, ist nun von einer vom Parlament in der letzten Session eingesetzten 32köpfigen Arbeitsgemeinschaft unter dem Vorsitz des jungen, energischen konservativ-christlichsozialen Fraktionschefs Dr. Furgler eindeutig eruiert worden.

verantwortlichen, die ihren Kredit und ihr Vertrauen verscherzt haben, nicht selber die Konsequenzen ziehen sollten.

Eine harte Nuß

Eine harte Nuß war für die Kommission, was sie hinsichtlich des „Mirage“ vorschlagen sollte. Sie hatte die Wahl, die Hunderterserie, deren Produktion ja bereits läuft, zu „schlucken“, was aber keinesfalls ohne eine „Revolution“ im Volke abliefe, oder den Verzicht auf die Mirages oder eine reduzierte Serie vorzuschlagen. In Abwägung der politischen, militärischen und finanziellen Aspekte entschloß sie sich, dem Parlament drei Staffeln zu 18 Maschinen, d. h. eine 54er Serie zu beantragen. Diese wird runde 1200 bis 1300 Millionen kosten — sicher sehr viel Geld für den Gegenwert. Aber es wäre nicht zu verantworten gewesen, 850 bereits verausgabte Millionen durch einen vollständigen Verzicht auf die Mirages einfach in den Kamin zu schreiben, um den teuersten Schrotthaufen der Weltgeschichte anzulegen. Dies auch deswegen nicht, weil die abgehenden Venoms und Vampires der Luftwaffe immer bedenklichere Lücken offenlassen, die nicht lange völlig ungestopft belassen werden können. Auch wenn die 54 Maschinen, pro Stück betrachtet, zu teuer zu stehen kommen, ermöglicht doch die Einsparung, die gegenüber einer Siebziger- oder Hunderterserie erzielt wird, die dringliche Befriedigung anderweitiger Bedürfnisse der Armee, namentlich der Flak und der Artillerie. Zudem mußte den hochfliegenden Träumen der Flugwaffe, die jedes Maß für das Mögliche verloren hat, aber auch dem Wehrministerium und seinen Rüstüngs- königen mit dem Zaunpfahl abgewunken werden: Schluß mit der Aspiration auf Hunderte von Hochleistungsflugzeugen, die sich die Schweiz nicht leisten kann! Zurück zum Primat des Erdkampfflugzeugs!

Erfreuliche Konsequenzen einer unerfreulichen Affäre

Hochbedeutsam für die Wiederherstellung der Ordnung und des Vertrauens sind die konkreten Vorschläge der Arbeitsgemeinschaft für die Reorganisation des Wehrministeriums, für die Verbesserung der parlamentarischen Verwaltungskontrolle und für den beschleunigten Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie haben manchem Defaitisten neuen Mut gegeben, der schon wähnte, das Parlament habe sich mit der Abdankung vor der „Allmacht“ der in der Mirage-Affäre so kläglich versagenden Administration abgefunden. Das Parlament erkennt seine Stunde, und das Volk faßt neues Vertrauen in seine Institutionen: Das ist das erfreuliche Fazit einer unerfreulichen Affäre.

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