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Brandgeruch im satten Zürich

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Trotz regstem Weihnachtsgeschäft ist vor den Festtagen kein einziges Zürcher Warenhaus abgebrannt. Das ist, so wie sie hier steht, eine recht makabre Feststellung. Aber sie hat einen ganz bestimmten Hintergrund. Die jungen, Revolutionäre sein wollenden Rebellen Zürichs haben nämlich ihre Abneigung gegen die Konsumgesellschaft mit brutalen Drohungen und leider mit nichts anderem bekundet. Sie drohten, in einem der so rentablen Warenhäuser Feuer zu legen; sie rotteteten sich zusammen, um mit grimmigen Barten, ungewaschenen Gesichtern und schwarzumrandeten Fingernägeln ihre Abneigung zu manifestieren; und am Abend fehlte bald der eine, bald der andere bei diesen Zusammenkünften, denn er hatte gerade ein Rendezvous mit seinem Girl-Friend, das er in Vaters Mercedes oder im eigenen Sportwagen (selbstverständlich auch ein Geschenk des „alten Herrn“!) in einen der so beliebten und entsprechend teuren Landgasthöfe ausführte.

Die innere Verlogenheit ist damit deutlich sichtbar geworden. Diese Verlogenheit beweist denn auch, wieviel oder besser wie wenig von diesem gemimten „Aufstand gegen den Wohlstand“ zu halten ist, mit dem man das geistlose Dreinschlagen vom vergangenen Juni zu verbrämen sucht. Damals ging es um ein Jugendhaus. Aber nicht etwa um das verständliche Begehren der Jugend, ein. geeignetes Haus von der Stadt zur Verfügung gestellt zu bekommen, sondern darum, ein bereits bestehendes und zu anderen Zwecken vermietetes Haus von einem ganz bestimmten Tag an zu erhalten. Demokratie hin oder her! Da die Demokraten aber nach demokratischem Recht der Minderheit gegenüber nicht einfach nachgaben, ging diese Minderheit an Geist und Zahl auf die Straße. Es kam, wie es kommen mußte: es gab heftige Schlägereien mit der Polizei. Und wie schon so oft: nicht der Täter, sondern das Opfer soll nun schuld sein. Die Drahtzieher verschiedener, aber auf jeden Fall extremer Couleur haben jetzt erreicht, was sie wollten. Die Affäre hat endlich den bisher vermißten politischen Anstrich bekommen.

Gefährlich wird die Situation nicht zuletzt deshalb, weil sich in der Zwischenzeit Leute dieser Problematik angenommen haben, denen es nicht mehr um das Jugendhaus, ja nicht einmal um die Jugend geht, sondern die ganz einfach im trüben Teich auf politischen Fischzug ausgehen. Die Angel ist bereits gelegt, und sie haben mit allen möglichen Ködern versucht, den obersten Polizeichef, Stadtrat Albert Sieber, zum Anbeißen zu bringen. Bisher umsonst. Diese Leute lassen es aber nicht beim freundlichen Ködern bewenden. Sie werden, um ihr politisches Ziel zu erreichen, auch zu massiveren Mitteln greifen und dazu nicht zuletzt die Jugend mißbrauchen.

Allerdings ist nicht jede Agitation mit diesem so negativen Vorzeichen zu versehen. Die Unruhe, die die Studierenden der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich erfaßt hat, muß positiver bewertet werden. Die Ursache ist folgende: Die schweizerischen Hochschulen sind der kantonalen Schulhoheit unterstellt. Die bisher einzige Ausnahme machte die erwähnte Technische Hochschule Zürichs, die direkt der Eidgenossenschaft untersteht. Im Spätsommer 1966 richte-e der Kanton Waadt das Gesuch an die Bundesregierung, die Ecole Polytechnique de l'Universite de Lausanne (EPUL) solle den gleichen Status wie die Züricher ETH erhalten. Anfangs März 1968 wurde dann das entsprechende Bundesgesetz veröffentlicht. Es basiert — fast möchte man sagen: logischerweise — auf dem Gesetz des Jahres 1854, das die Grundlage für die Bundesübemahme der ETH bildete. Im März und auch im Sommer dieses Jahres opponierte noch niemand gegen das Vorhaben. Erst als über Europa der heiße Studentensommer hinwegbrauste, erkannten die Zürcher ETH-Absolventen in dieser veralteten Formulierung einen Hebel, mit dem die sonst sprichwörtliche schweizerische Ruhe aus den Angeln gehoben werden könnte. Die Studenten beschlossen, ein Referendum durchzuführen. Dazu brauchen sie zunächst 30.000 Unterschriften. Dann aber müßten sie in der Volksabstimmung erst noch die Mehrheit des ganzen Volkes — besser gesagt: des männlichen Volksteiles (Frauenstimmrecht gibt es ja nicht!) — erringen, und dies scheint auf Grund der Erfahrungen praktisch unmöglich.

Die schweizerischen Studierenden sehen sich also wegen der demokratischeren Institutionen der Schwierigkeit gegenüber, ihre Anhängerschaft durch Stimmzettel unter Beweis zu stellen.

Was aber, wenn sie in einer demokratischen Abstimmung unterliegen? Der bekannte Schriftsteller Mar Frisch hat bereits drohend angedeutet, man müsse sich natürlich nicht wundern, wenn die Studenten, falls ihre Beigehren abgelehnt würden, „andere Mittel anwenden“ würden.

Natürlich müssen sich auch die Verantwortlichen des Staates bewußt sein, daß heute nicht mehr nach dem Schema des letzten Jahrhunderts regiert werden kann. Im konkreten Fall behaupten sie, diesen guten Willen auch ohne den Anstoß der plötzlich unzufriedenen Studenten gehabt zu haben. Das Gesetz von 1854 sei nur als Vorbild genommen worden, um so rasch wie möglich die Einordnung der EPUL in den Bund vollziehen zu können: gleichzeitig hätten sich aber besondere Kommissionen bereits mit der Reform dieses Gesetzes beschäftigt.

Einer der Kernpunkte wird die Frage der Mitbestimmung der Studenten und die Neubesinnung der Hochschule auf ihre gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Funktionen seih. Damit steht die Schweiz vor dem gleichen Circulus vitiosus, der den Erziehungsministern so vieler anderer Länder Sorgen bereitet. Wie weit soll die Mitbestimmung gehen? Etwa auch in bezug auf die Wahl der Professoren?

Ein ganz heißes Eisen aber ist die Frage der Unabhängigkeit der-Hochschule von der Wirtschaft. Früher einmal galt es als besonders fortschrittlich und sozial, daß Industriebetriebe einen möglichst engen Kontakt mit der ihr nahestehenden Hochschule pflegten, konnten doch auf diese Weise Forschungen betrieben werden, die die Hochschule auf dem Rücken der Steuerzahler kaum je hätte durchführen können. Und überdies bekamen die Studierenden bis zu einem gewissen Grad die Sicherheit, nach Abschluß des Studiums auch den Fähigkeiten und der Ausbildung gemäß in der Wirtschaft eingeordnet werden zu können.

Und heute? Offenbar möchte man zwar noch die finanzielle Hilfe der Industrie, aber ohne ihr Mitspracherecht. Die so argumentieren, haben sich auf die gleiche Stufe begeben wie die rebellierenden Jungen, die der Konsumgesellschaft, aber nicht dem väterlichen Bankkonto den Kampf angesagt haben. Es ist höchste Zeit, die Wertordnungen wieder einmal gründlich zu überdenken. Ho-Tschi-minh-Rufe, Krawallfreunde sind ebensowenig ein Maßstab wie die von den Hochschulstudenten angedrohte „Kulturrevolution''.

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