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Wann wird Eigenname zum Hauptwort?

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In einem ersten Beitrag zur Rechtschreibreform - anläßlich der Tagung der Befürworter einer gemäßigten Kleinschreibung in Wien - wandte sich Prof. Maria Hornung gegen diese Tendenzen einer gefährlichen „Vereinfachung“. Nun nimmt Prof. Hermann Möcker das Detailproblem der Namen unter die Lupe, die auch nach Ansicht der Reformer weiterhin großgeschrieben werden sollen - aber wie?

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In einem ersten Beitrag zur Rechtschreibreform - anläßlich der Tagung der Befürworter einer gemäßigten Kleinschreibung in Wien - wandte sich Prof. Maria Hornung gegen diese Tendenzen einer gefährlichen „Vereinfachung“. Nun nimmt Prof. Hermann Möcker das Detailproblem der Namen unter die Lupe, die auch nach Ansicht der Reformer weiterhin großgeschrieben werden sollen - aber wie?

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Schon 1822 glaubte Jacob Grimm, durch Aufgeben der Hauptwortgroßschreibung die Rechtschreibung vereinfachen zu können. Daß Grimm dabei sehr stark von der (mitunter sogar „totalen“) Kleinschreibung mittelalterlicher Handschriften beeinflußt war, steht außer Zweifel. Aber auch schon seit dem Mittelalter griff in den Sprachen mit lateinischer, griechischer und kyrillischer Schrift der Brauch um sich, Namen großzuschreiben, ein Brauch, der kaum noch rückgängig gemacht werden kann. Wenn daher besonders im 20. Jahrhundert das Reformschlagwort von einer angeblich „gemäßigten Kleinschreibung“ umläuft, so wird hier der Wolf in einen „gemäßigten“ Schafspelz gesteckt, denn die „gemäßigte“ Kleinschreibung stellt ohnehin schon eine Maximalforderung dar.

In den „Wiesbadner Empfehlungen“ von 1958 wird die „gemäßigte Kleinschreibung“ so definiert, daß nur noch großgeschrieben werden sollen: „die Satzanfänge, die Eigennamen einschließlich der Namen Gottes ...“ - als ob die Namen Gottes keine Eigennamen wären! Der geradezu rührende, von den Kleinschreibern stereotyp wiederholte, aber sachlich eigentlich überflüssige Hinweis, daß „Gott weiterhin großgeschrieben“ wird, soll wohl die Leimrute sein, mit der man die Zustimmung schlichtchristlicher Gemüter zu einer ohnehin so „gemäßigten“ Reform einzufangen hofft.

„Der mond der Erde heißt Mond, aber von den monden des Jupiter hat jeder einen anderen namen...“

Da die „gemäßigte Kleinschreibung“ auf eine Eigennamengroßschreibung hinausläuft, steht und fällt sie damit, wie man den Begriff des „Eigennamens“ definieren und durch Großschreibung praktisch anwenden kann. In den „Wiesbadner Empfehlungen“ (1958) finden wir nur eine bequeme Polemik gegen die Hauptwortgroßschreibung. Noch 15 Jahre später, auf dem Frankfurter Kleinschreibkongreß 1973, mußte der Leiter der Duden-Redaktion zugeben, daß seine Mitarbeiter erst „dabei“ seien, „den Bereich der Namen und Pseudonamen ... aufzuschlüsseln“. Ein greifbares Ergebnis dieser „Aufschlüsselung“ scheint noch immer nicht vorzuliegen.

Ende 1973 legte dann der Wiener Kleinschreibverein eine zunächst bloß drei Druckseiten umfassende „Regel“ zur „gemäßigten Kleinschreibung“ vor, die jedoch seither dreimal umgearbeitet und erheblich erweitert worden ist, ohne daß sie in der Lage wäre, den Begriff des „Eigennamens“ vollständig und widerspruchsfrei zu umfassen. Die Fassung vom April 1976 wurde von einer vorsorglich von Kleinschreibern ma-jorisierten österreichischen Reformkommission mit Zweidrittelmehrheit angenommen.

Das Groteske an diesen Versuchen, die deutsche Rechtschreibung durch eine „gemäßigte Kleinschreibung“ zu „vereinfachen“, wird jedoch daraus deutlich, daß die Kleinschreiber zwar immer erklären, es sei unsinnig, die Großschreibung an eine gramma-

tische Kategorie (das Hauptwort) zu binden, die nicht eindeutig zu fassen ist. Sie selbst aber machen den Unterschied zwischen einem Eigennamen und einem Hauptwort davon abhängig, daß vor einen Eigennamen „kein bestimmtes Zahlwort gesetzt werden kann“. Die Kleinschreiber sind demnach gezwungen, den Unterschied zwischen zwei grammatischen Kategorien (Eigenname und Hauptwort) durch eine dritte zu definieren, das bestimmte Zahlwort, die lehrplanmäßig erst der 5. Schulstufe (1. Hauptschulklasse) zugewiesen ist!

Erfordert also die „gemäßigte Kleinschreibung“ viel früher und viel mehr grammatisches Detailwissen als eine vereinfachte Hauptwortgroßschreibung, so erweist sich die Praxis der „gemäßigten Kleinschreibung“ als beklemmend kompliziert:

Der mond der Erde heißt Mond, aber von den monden des Jupiter hat jeder einen anderen namen. Fällt der regen zur erde oder zur Erde?

Wie schreibt man (d)onaustrom, wie (d)onauufer? (Nach der Faustregel vermutlich: der Donaustrom, aber: zwei doriauufer!) So gesehen, müßte man auch würstel mit Senf schreiben, weil man zwar zwei würstel sagen kann, aber nicht (zwei) Senf.

Schon diese wenigen Beispiele zeigen, daß bei richtig angewendeter „gemäßigter Kleinschreibung“ die Grenze zwischen Groß- und Kleinschreibung mitten durch einen Bereich läuft, der heute wegen der relativ einfachen Hauptwortgroßschreibung rechtsehreiblich fast problemfrei ist. Die feinen semantischen Differenzierungen zwischen mond und Mond, zwischen erde und Erde, zwischen donauufer und Donaustrom können einem Volksschüler wohl kaum beigebracht werden.

Ich betrachte es daher durchaus als Fortschritt, wenn das Deutsche vor 300 bis 400 Jahren die damals praktizierte mittelalterliche „gemäßigte Kleinschreibung“ aufgegeben hat und zur einfacheren Hauptwortgroßschreibung übergegangen ist. Daß diese obendrein lesefreundlicher und verständnisfördernd ist, weiß ohnehin jeder, der gelegentlich liest, besonders aber der, welcher gezwungen ist, viel und schnell zu lesen. Der Nutzen der Hauptwortgroßschreibung beim Lesen ist 1974 bis 1977 von einer österreichischen Arbeitsgruppe sehr

genau untersucht worden. Dazu kommt noch, daß die großgeschriebenen Hauptwörter wirklich in erheblich höherem Maße Hauptsinnträger eines Satzes sind; dies kann sich gerade in unserer Zeit die Datenverarbeitung zunutze machen, welche den praktischen Wert der deutschen Hauptwortgroßschreibung erweist Die Hauptwortgroßschreibung ist daher ein durchaus moderner, zukunftweisender Bestandteil unserer Rechtschreibung, sie erleichtert das Lesen und Verstehen, und sie ist auch in vielen Belangen leichter anwendbar als die „gemäßigte Kleinschreibung“ mit ihren vielen und unzumutbaren Spitzfindigkeiten.

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