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Alles klein schreiben?

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Würde die „gemäßigte Kleinschreibung“ das Erlernen von Lesen und Schreiben erleichtern? Wäre eine Rechtschreibreform ein Mittel gegen den neuen Analphabetismus?

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Würde die „gemäßigte Kleinschreibung“ das Erlernen von Lesen und Schreiben erleichtern? Wäre eine Rechtschreibreform ein Mittel gegen den neuen Analphabetismus?

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Zu Weihnachten 1987 wird es gerade 165 Jahre her sein, daß sich Jacob Grimm in seinem oft zitierten Brief an Freiherrn von Meusebach auf die Kleinschreibung der Hauptwörter festgelegt hat. Seither sind die Lippenbekenntnisse zur Kleinschreibung und die eifrigen Berufungen auf Jacob Grimms Autorität zu einem gespenstischen Ritual erstarrt. 150 Jahre lang konnten die Anhänger der Kleinschreibung davon leben, zu verkünden, warum das Deutsche zur Kleinschreibung der Hauptwörter übergehen müsse, ohne daß sie die Karten auf den Tisch legten, wie denn die Regeln einer sogenannten „gemäßigten Kleinschreibung“ (in der nur noch Namen großgeschrieben würden) aussehen sollten.

Vordergründige Motive waren bald gefunden, vor allem der unwiderlegliche Hinweis, daß seit 1948 nur noch im Deutschen Hauptwörter großgeschrieben werden. Von da zur.Forderung, daß sich auch das Deutsche der internationalen Kleinschreibung anzuschließen habe, war es nur ein kleiner Schritt, so simpel und so schlicht, daß all jene gern mitgingen, die kritische Prüfung oft gehörter Behauptungen lieber vermeiden.

Überdies konnte man einer Gesellschaft, welche Kindern gegenüber ohnehin dauernd das schlechte Gewissen ständiger Unterlassungen hat, die billige Selbstbeschwichtigung verschaffen, durch den Ruf nach Kleinschreibung ausreichend Kinderliebe plakatiert zu haben.

1972 versuchte endlich der Schweizer Kleinschreibverein zu zeigen, wie einfach die Regeln der Namengroßschreibung seien, und legte einen kleinen Faltkarton auf. Damit war nun der Damm gebrochen, und jede Kleinschreibergruppe, die auf sich hielt, begann Namenregeln zu veröffentlichen. Besonders tat sich da die österreichische Kleinschreiberriege hervor, die eine Zeitlang Jahr für Jahr mit neuen Regeln auftrat, die von Mal zu Mal umfangreicher und unübersichtli- • eher wurden. Schließlich versuchte man 1982 in Wien die Bemühungen der Kleinschreiber der vier deutschsprachigen Staaten zu einer vierstaatlich abgesegneten Regel zusammenzuführen, wobei sich besonders die Fachleute aus der DDR exponierten. Doch schon ein halbes Jahr später kamen aus der DDR Nachrichten, daß man noch ein Problem habe, an dessen Klärung man arbeite...

Warum kann man bei der Erstellung von Regeln für eine Namengroßschreibung im Deutschen, welche die Hauptwortgroßschreibung ablösen soll, offensichtlich nicht auf einen grünen Zweig kommen?

Zunächst mußten die Kleinschreiber im Laufe der letzten fünfzehn Jahre entdecken, daß es keine internationalen Regeln für „gemäßigte Kleinschreibung“, also für Namengroßschreibung, gibt. Die Regeln schwanken von Sprache zu Sprache, weil sich eben die einzelnen Sprachen auch strukturell voneinander unterscheiden. Schien es so, als wollten sich die deutschen Kleinschreiber zuerst ans Englische anschließen, so ging man dann doch vom englischen Muster ab, weil es unter den kleinschreibenden Sprachen die meisten Großschreibungen (Wochentage, Monatsnamen, Sprachen, Völker und so weiter) aufweist und daher eher den Eindruck einer Sprache erweckt, die bei ihrer Entwicklung zur HauptWortgroßschreibung steckengeblieben ist.

Hauptproblem für die Kleinschreiber ist aber die Kompositionsfreudigkeit des Deutschen, das fast unbeschränkt Zusammensetzungen bilden kann und damit jeden Ansatz zu einer Definition großzuschreibender Namen abwürgt. Gerade die Zeitungssprache liefert uns täglich aus den Bereichen Politik, Geschichte und Geographie neue Belege, an denen kleinschreiberische Bemühungen lächerlich werden: Wie schreibt man hitlerzeit, hitlerdeutschland, nachkriegs-deutschland, deutschlandpolitik, Österreichbewußtsein, vietnamkrieg, golfkrieg, honeckerbesuch, gorbatschowinterview, reaganrede? Je nach Definitionsversuch würde man Donaustrom, Eiffelturm oder donaustrom, eif f elturm schreiben müssen!

Viel zu lange hat man sich von der Schimäre einer internationalen Kleinschreibregel verführen lassen — im Deutschen kann ein solcher Neuerungsversuch nicht zu einem zumutbaren Schreibzustand führen.

Es darf sich aber keiner von den Kleinschreibeiferern • ausreden, daß er von all dem nichts gewußt und nur an die armen Kinder gedacht habe. Schon Gottsched hat 1748 darauf hingewiesen, daß wegen der „vielen Unrichtigkeiten“ bei der Namengroßschreibung das Deutsche dazu übergegangen sei, „alle Nennwörter“ mit großen Anfangsbuchstaben zu schreiben.

Für eine „gemäßigte Kleinschreibung“ im Deutschen wären ähnliche Grammatikkenntnisse erforderlich wie für eine verbesserte Hauptwortgroßschreibung. Der Ruf nach Kleinschreibung hat also wenig mit Kinderliebe zu tun: die Kleinschreiber können nur scheinbar den Kindern grammatisches Grundwissen ersparen.

Weniger lautstark als die Kleinschreiber agieren die Fachleute, welche das Anliegen einer Rechtschreibreform nicht in einem quantitativen Maximum an Veränderungen sehen, sondern unter weitestmöglicher Ausnützung der ohnedies vorhandenen Grundregeln qualitative Verbesserungen anstreben. Die jetzigen Normen der Hauptwortgroßschreibung enthalten eine Fülle sinnentleerter Ausnahmen, die kaum Informationswert haben, die aber das System stören. Mit ähnlichem Pragmatismus lassen

„Der Ruf nach Kleinschreibung hat wenig mit Kinderliebe zu tun“ sich auch Erleichterungen bei der Worttrennung (beim Abteilen) und bei den Satzzeichen (vor allem beim Beistrich) herbeiführen, ja es ist sogar gelungen, Vereinfachungen in den Laut-Buchstaben-Beziehungen aus den vorhandenen, aber oft verwirrenden Regeln herauszurechnen. Dabei ist es zu präzisen Reformvorschlägen auch im Bereich der Vokaldehnungsbezeichnungen — vor allem beim „scharfen s“ (ß) und beim Dehnungs-h — gekommen, in Bereichen, die seit mehr als hundert Jahren für unreformier-bar gehalten wurden.

Die Leistungen auf diesen Gebieten lassen sich vermutlich medial weniger spektakulär aufbereiten, und so tragen die Medien mit ihrem Prinzip „only bad news are göod news“ leider oft dazu bei, der sogenannten gemäßigten Kleinschreibung ein Interesse zuverschaffen, das weit über deren wahrem Wert liegt.

Der Autor ist AHS-Prof essor und-Vorsitzer des Zweiges Wien der Gesellschaft für deutsche Sprache.

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