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Aktuell: Rechtschreibreform

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Unterrichtsminister Dr. Heinrich Drimmel hat kürzlich in einer Pressekonferenz den gegenwärtigen Zeitpunkt als „äußerst ungünstig“ für Reformen der deutschen Rechtschreibung bezeichnet und dies damit begründet, „daß eine für alle Deutschsprechenden verbindliche Einigung gerade jetzt schwer zu erzielen sei, da die davon betroffenen Menschen auf mehrere Staaten verteilt seien“. Wie dies zu verstehen sei, geht aus dem weiteren Hinweis auf die doch immerhin nicht geringen Unterschiede zwischen dem „Ost“- und „West-Duden“ hervor. Damit ist in der Tat der oberste Grundsatz für die Stellungnahme zum Problem der Rechtschreibreform ausgesprochen: die Erhaltung der deutschen Spracheinheit. Im Zentrum der Erörterung um die Rechtschreibreform steht nach wie vor die Kleinschreibung der Hauptwörter. Manche, die auf eine rasche Entscheidung in dieser Frage drängen, werden die Stellungnahme des Herrn Bundesministers nicht gern gehört haben. Und doch entspricht sie durchaus dem Grundsatz, daß die Verwaltung geistig-kultureller Angelegenheiten eben Verwaltung, das heißt Förderung und Erhaltung ohne Dirigismus im Sachlichen zu sein habe. Um aber denjenigen, die auf eine nach ihrer Meinung längst fällige Entscheidung dringen, auch eine Antwort zu geben und zugleich Rechenschaft abzulegen über die bisherige Tätigkeit der österreichischen Kommission für die Orthographiereform, möchte ich den gegenwärtigen Stand der Beratungen über die Rechtschreibreform in allen deutschsprechenden Ländern, in Westdeutschland und in Ostdeutschland, in der Schweiz und in Österreich selbst, darlegen. Ich tue dies um so lieber, als ich Immer wieder mit Anfragen aus Österreich, aber auch aus dem Ausland, insbesondere der deutschen Bundesrepublik, geradezu bestürmt werde. Ich will mich hierbei auf das Problem der Groß- und Kleinschreibung DMf5nKeTf,^~'6bwön1 andere Fragen nicht minder kulturell bedeutsam wären.

Nach vorhergehenden Beratungen In Konstanz, Salziburg und Schaffhausen hat eine aus Fachleuten Westdeutschlands, Ostdeutschlands, Österreichs und der Schweiz gebildete „Arbeitsgemeinschaft“ auf der Beratung in Stuttgart am 15. und 16. Mai 1954 „Empfehlungen zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung“ beschlossen; an erster Stelle stand die Frage der sogenannten „gemäßigten Kleinschreibung“. Diese Vorschläge lösten eine erregte Erörterung bis in die breiteste Öffentlichkeit aus, wobei es bisweilen auch an Leidenschaftlichkeit und Unsachlichkeit in Ton und Inhalt nicht fehlte. Aber auch ernste wissenschaftliche Stimmen meldeten sich zu Wort, in Westdeutschland bedeutende Fachmänner wie Leo Weisgerber und Hugo Moser sowie die „Gegenvorschläge des deutschen Normenausschusses“, in Ostdeutschland besonders die gründlichen Untersuchungen der einzelnen Fragen innerhalb der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und ihrer Institute. Ähnlich lagen die Verhältnisse in Österreich. Mit größtem Nachdruck trat der „Bund österreichischer rechtschreibreformer“ für die Stuttgarter Empfehlungen, insbesondere die Kleinschreibung der Hauptwörter ein und wußte den Großteil der Lehrerschaft, namentlich der Pflichtschulen, dafür zu gewinnen. Es fehlte aber auch hier nicht an Gegenstimmen, so des Vereins „Muttersprache“, des „Österreichischen Schriftstellerverbandes“ und der einhelligen Erklärung sämtlicher an österreichischen Universitäten lehrenden Germanisten. Auch die österreichische Akademie der Wissenschaften nahm hierzu Stellung, zunächst kritisch abwägend (Das Problem der Rechtschreibreform, Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Jg. 1955, Nr. 8).

Um die Diskussion in ruhigere und streng sachliche Bahnen überzuleiten, wurde im Mai 1956 in der deutschen Bundesrepublik durch den Bundesminister des Inneren und die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder der „Arbeitskreis für Rechtschreibregelung“ einberufen; er setzte sich aus Vertretern von Wissenschaft und Schule, von einschlägigen Fachverbänden und des Buchgewerbes zusammen, mit insgesamt 19 Mitgliedern. Er führte seine Beratungen in drei Ausschüssen durch: für die Fragen der Groß-und Kleinschreibung, für die Fragen der Zeichensetzung, der Fremdwörter und der Doppelformen, für die Fragen der Silbentrennung und der Zusammen- und Getrenntschreibung. Das Ergebnis ist in den sogenannten Wiesbadener Empfehlungen niedergelegt Die Stellungnahme zur Groß- und Kleinschreibung lautete: „Die jetzige Großschreibung der Hauptwörter soll durch die gemäßigte Kleinschreibung ersetzt werden. Darnach werden künftig nur noch groß geschrieben: die Satzanfänge, die Eigennamen einschließlich der Namen Gottes, die Anredefürwörter und gewisse fachsprachliche Abkürzungen, zum Beispiel H20.“

In Österreich habe ich aus dem gleichen Grund wie in der deutschen Bundesrepublik in einer Eingabe an den Herrn Bundesminister für Unterricht vom 1. und 9. Juni 1959 vorgeschlagen, eine „Kommission für die Orthographiereform“ einzusetzen. In seinem Antwortschreiben vom 22. Juni 1959 hat der Herr Bundesminister diesem Antrag zugestimmt, in der Form eines Auftrages an mich, einen beratenden Arbeitskreis zur Rechtschreibregelung — zunächst mit inoffiziellem Charakter — zu bilden. Auf Grund dieser Ermächtigung habe ich die „Österreichische Kommission für die Orthographiereform“ gebildet mit sechs Vertretern aus der Wissenschaft, sieben aus der Schule, sieben aus einschlägigen Vereinen und fünf aus dem Buchgewerbe. Die Beratungen wurden in zwei Abschnitten durchgeführt: in einem ersten von Februar bis Juni 1961, der außer einer Generaldebatte über den gesamten Komplex der Fragen einer Orthographiereform die Gegenüberstellung zweier ausführlicher Gutachten für und gegen die grundsätzliche Kleinschreibung (wie man besser statt gemäßigte Kleinschreibung zu sagen sich entschloß) brachte, und einem zweiten von Oktober 1961 bis März 1962, der sich mit der Stellungnahme zu den übrigen Punkten von Wiesbaden befaßt hat. F ü r die Kleinschreibung wurde vor allem das Argument der Kompliziertheit der bestehenden Regeln für die Groß- und Kleinschreibung und als deren Folge die schwere Erlernbarkeit angeführt, gegen die Kleinschreibung das Argument des sogenannten Kultur-bruchs, das heißt, daß durch den Übergang zur Kleinschreibung der Hauptwörter im Schulunterricht die künftigen Generationen das frühere Schrifttum, insbesondere der klassischen Periode unserer Literatur weniger leicht und daher weniger gern lesen und dadurch auch diesem wertvollen Gedankengut entfremdet werden würden. Die Abstimmung in der Sitzung vom 27. Juni 1961 ergab von 23 anwesenden (der 25) Mitgliedern das Verhältnis 10:10 und zwei Stimmen für die Beibehaltung der Groß- und Kleinschreibung unter dem Vorbehalt einer Neufassung der Regeln hierfür. Ich selbst habe mich der Stimme enthalten, nicht bloß aus der geschäftsordnungsmäßigen Gepflogenheit, nach der der Vorsitzende nicht mitstimmt, sondern in der Erwägung, daß bei einem solchen Verhältnis der Stimmen kein einzelner die Verantwortung für eine Majorisierung übernehmen könne.

Das bedeutet aber nicht, daß ich in der Frage selbst keinen eigenen Standpunkt habe; nur scheinen mir die beiden Hauptargumente, „Schwererlernbarkeit“ einerseits, „Kulturbruch“ anderseits, nicht die letztlich entscheidenden zu sein. Für die Kleinschreibung spricht, daß den Schülern in dem Zeitpunkt, da sie mit der Erlernung des Rechtschreibens beginnen müssen (und dies ist eigentlich schon bei Beginn mit dem Schreiben überhaupt der Fall), entwicklumgsgemäß diejenige Fähigkeit kategorialen Denkens fehlt, die für die Anwendung der Regeln für die Groß- und Kleinschreibung erforderlich ist.

Gegen die Kleinschreibung spricht, daß bei der Aufgabe der Unterscheidung von Groß- und Kleinschreibung wertvolle und wesentliche Ausdrucksmöglichkeiten, namentlich der künstlerischen und der wissenschaftlichen Sprache, verlorengehen würden. Dieser Verlust wäre unvermeidlich. Hingegen könnte die Schwererlernbarkeit bei entsprechender Vereinfachung der Regeln und vorsichtiger, methodischer Führung des Unterrichtes so weit verringert werden, daß die Handhabung der Groß- und Kleinschreibung jedem durchschnittlich begabten Schüler möglich würde.

Auf GrMd ivett* Vereinbarungen

Her österrfcf chatten Kommission i mit dem „Arbeitskreis für Rechtschreibregelung“ in Westdeutschland und der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin in Ostdeutschland sowie der „Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren“ in der Schweiz kam am 5. November 1962 in Wien eine gemeinsame Beratung von Vertretern aus den vier Ländern zustande. Das Ergebnis war: 1. Die vorgeschlagene Kleinschreibung der Hauptwörter wurde nicht einheitlich beurteilt.

2. Die übrigen Reformvorschläge der Wiesbadener Empfehlungen wurden als Grundlage für die Fortführung der Diskussion begrüßt.

3. Die Vertreter der Länder werden gebeten, zu erwägen, ob noch über diese Empfehlungen hinaus Reformvorschläge zur Diskussion gestellt werden sollen. 4. Eine eingehende Besprechung wird für das Jahr 1963 in Aussicht genommen. Mit der Vorbereitung auch dieser Sitzung wurde die österreichische Kommission beauftragt. Nunmehr wurde auch in der Schweiz durch die Initiative der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren ein „Beratender Fachausschuß für die Rechtschreibreform“ eingesetzt. Der Vorschlag der Kleinschreibung der Hauptwörter wurde von den 24 Teilnehmern der Konferenz mit allen gegen eine Stimme abgelehnt.

Der ganze Fragenkomplex der Orthographiereform wird nunmehr auch in den anderen deutschsprechenden Ländern auf Grund der schweizerischen Stellungnahme einer neuerlichen Prüfung unterzogen werden und dann nochmals eine Besprechung von Vertretern aller vier Länder durchgeführt werden. Zu dieser Besprechung soll jedes Land sechs Vertreter entsenden; als Ort ist wieder Wien in Aussicht genommen, als Zeitpunkt das Frühjahr 1964. Von dem Ergebnis dieser Besprechungen wird es abhängen, ob die Vertreter der einzelnen Länder ihren Regierungen einen bestimmten Vorschlag für oder gegen die Kleinschreibung der Hauptwörter werden vorlegen können oder sich mit der Gegenüberstellung der Hauptargumente für die beiden gegensätzlichen Stand-

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