Der Dschihadismus fiel nicht vom Himmel

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Gut ein halbes Jahr ist vergangen, seit der Islamische Staat begann, den Vorderen Orient, aber auch Europa in Schrecken zu versetzen. Noch gibt es wenige Bücher dazu: Publikationen von Behnam T. Said, Lamya Kaddor und Rüdiger Lohlker.

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Gut ein halbes Jahr ist vergangen, seit der Islamische Staat begann, den Vorderen Orient, aber auch Europa in Schrecken zu versetzen. Noch gibt es wenige Bücher dazu: Publikationen von Behnam T. Said, Lamya Kaddor und Rüdiger Lohlker.

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Die Terrororganisation Islamischer Staat ist erst vor gut einem halben Jahr ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Literatur darüber ist daher noch kaum auf dem Markt. Dass Behnam T. Saids äußerst informativer Band "Islamischer Staat, IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden", der im Herbst 2014 erschienen ist, nun schon in dritter Auflage vorliegt, spricht da für sich. Das Buch des Deutschen mit afghanischen Wurzeln zeigt, wie lange schon dschihadistische Strömungen im syrischen Kontext vorhanden sind, von der Gewaltgeschichte des Assad-Regimes, die die islamistische Reaktion jedenfalls mit induzierte, hat hierzulande vor 2014 kaum jemand Notiz genommen.

Wie aus dem Machtvakuum im Irak und im bürgerkriegsgeschwächten Syrien eine Reihe dschihadistischer Organisationen entstanden sind, stellt Said ebenso dar wie die Diadochenkämpfe, in die die einzelnen Gruppierungen verstrickt sind. Vor allem den Abstieg von al-Qaida gegenüber dem IS schildert der Autor eindrucksvoll. Dass man sich dabei in der Fülle von Namen, Warlords und unterschiedlichen Führungspersonen kaum zurechtfindet, ist nicht der Darstellung des Autors anzulasten, sondern beweist einmal mehr die Verworrenheit und Komplexität der Situation.

Behnam T. Said hält sich nicht nur bei den Verhältnissen im Vorderen Orient auf, sondern stellt auch die europäischen Epigonen dar und geht der Frage nach, warum und wie in Mitteleuropa Kämpfer für die islamistische Sache in Syrien wurden. Dabei zeichnet er die Wege des "österreichischen" Dschihadisten Mohamed Mahmoud ebenso nach wie die des Berliner Ex-Rappers Denis Cuspert. Zusätzlich sucht der Autor, historische Parallelen zu ausländischer Beteiligung an früheren Konflikten zu ziehen. Am augenfälligsten dabei ist seine Analyse der Internationalen Brigaden, die im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republikaner kämpften. Das Herauslösen derartiger Elemente aus dem rein religiösislamischen Kontext ist eine wichtige Facette, die Said hier anbietet. Alles in allem ein unentbehrliches Buch, um zumindest eine Ahnung davon zu erhalten, worum es in den Auseinandersetzungen rund um den Islamischen Staat geht.

Eine bodenständige Gesellschaftsanalyse

Bodenständiger legt es dagegen die deutsche Islamwissenschafterin und Religionslehrerin Lamya Kaddor in ihrem eben erschienenen Buch "Zum Töten bereit. Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen" an. Kaddor, die als gläubige wie liberale Muslima auch in den deutschen TV-Talkshows - zu Recht! - als eines der guten Gesichter des Islam herhält (weswegen sie von islamistischer Seite gleichermaßen beschimpft wird wie aus der radikal islamkritischen Ecke) hat selber syrische Wurzeln. Als Religionslehrein in der Ruhrgebietsstadt Dinslaken hat sie sozusagen am "eigenen Leibe" die Problematik erfahren: Fünf ihrer Schüler, erzählt sie im Buch, sind nach Syrien gegangen, vier davon desillusioniert zurückgekehrt, einer ist geblieben. Wie konnte das passieren, fragt Kaddor und breitet ihr Panorama an Gesellschaftsanalyse und Nachdenklichkeit aus, ohne selber endgültige Antworten zu haben.

Man kann davon ausgehen, dass ein Buch über österreichische Verhältnisse nicht anders ausfallen würde: Kaddor beschreibt den Teufelskreis, der aus sozialer Spannung gepaart mit religiöser Erweckung erwachsen kann. Das impliziert längst noch nicht die Lösung der Probleme, aber, um den gutkatholischen Dreischritt Sehen-Urteilen-Handeln zu bemühen: für die ersten beiden Schritte leistet das Buch einen unschätzbaren Dienst. Dass Lamya Kaddor dazu ihren - auch religiös motivierten - Optimismus ausbreitete, ist mehr als ein kleines Hoffnungsflämmchen in unwirtlicher Zeit.

Grundzüge einer Entwicklung dargestellt

Auch auf eine im Licht der rasanten Entwicklungen fast schon "alte" Publikation ist hinzuweisen: Bereits 2009 hat der Wiener Islamwissenschafter Rüdiger Lohlker die Materialiensammlung "Dschihadismus" vorgelegt, aus der die Wurzeln religiös motivierter Gewalttätigkeit ebenso hervorgehen wie die Konsequenzen für politische Entwicklungen. Dass dies ein halbes Jahrzehnt, bevor der Islamische Staat heraufdräute, bereits so sichtbar war, zeigt, wie wenig verwunderlich die Entwicklung in den Grundzügen ist. Lohlkers Verdienst liegt darin, dass er Quellentexte zum Phänomen Dschihadismus zugänglich hält, die zuvor, weil vornehmlich auf Arabisch verfasst, im europäischen Diskurs gefehlt haben.

Zum Thema siehe auch das Interview auf Seite 10.

Islamischer Staat IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden.

Von Behnam T. Said,

C.H. Beck, 3. Aufl. 2014.

223 Seiten, kt., € 15,40

Zum Töten bereit Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen.

Von Lamya Kaddor.

Piper 2015.

256 Seiten, kt., € 15,50

Dschihadismus

Materialien

Von Rüdiger Lohlker.

Facultas WUV (UTB Taschenbuch) 2009.

248 Seiten, kt., € 19,50

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