Jeder nach seiner Façon

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Europa, wie wir es heute kennen, ist das Ergebnis einer langen Entwicklung von Pluralisierung. In der Reformation wurde die eine allumfassende christliche Kirche durch zwei Kirchen ersetzt. Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 durch Ludwig XIV. folgte ein Exodus von rund 500.000 Hugenotten aus Frankreich, der in ganz Europa hitzige Debatten über religiöse Toleranz und Religionsfreiheit auslöste. Viele von ihnen, wie auch die 20.000 Salzburger Exulanten von 1731, fanden Zuflucht beim König von Preußen oder in den Niederlanden. Großer wirtschaftlicher Aufschwung war die Folge. Toleranz wurde zum Erfolgskonzept. Ein langer Lernprozess brachte uns Europäer also dazu, Toleranz und Religionsfreiheit zum prägenden Merkmal unserer Gesellschaft zu machen. Die Aufklärung half uns zu verstehen: Religiöser Dissens kann toleriert werden, so lange er sich auf den Bereich persönlicher Religionsausübung beschränkt und das gesellschaftliche Zusammenleben nicht beeinträchtigt.

Letztlich ermöglichte dies dem Judentum Anfang des 19. Jahrhunderts, seinen Platz in der Gesamtgesellschaft einzunehmen. Das Judentum ist also Nutznießer der Relativierung von religiöser Wahrheit. Sind wir selber auch tolerant? Der Rechtswissenschaftler Asher Maoz von der Universität Tel Aviv meint: Das Judentum bejaht die Religionsfreiheit, wenn sie sich auf die Koexistenz mit anderen Religionen bezieht. Auch innerhalb des Judentums gebe es die Freiheit zur Meinungsvielfalt. Juden leben also aus der Einsicht, dass innerhalb und außerhalb des Judentums mehr als eine Wahrheit existiert. Was wir als die Wahrheit erachten, kann also ebenso wie das genaue Gegenteil vor Gottes Augen Zustimmung finden. Einzig der Übertritt in eine andere Religion findet wenig Toleranz. Das Judentum ist eben eher eine Schicksalsgemeinschaft denn eine Glaubensgemeinschaft.

Der Autor ist Rabbiner und leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin

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